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pkw-maut : Ganz kurz vor dem Ziel

Klare Zustimmung des Bundestages trotz Protesten der Opposition und Skepsis der SPD

27.03.2017
2023-08-30T12:32:18.7200Z
4 Min

Fast geschafft. Das hoch umstrittene und vor allem von der CSU seit Beginn der Legislaturperiode verfolgte Projekt einer Pkw-Maut hat eine entscheidende Hürde genommen. Der Bundestag verabschiedete vergangenen Freitag mit den Stimmen der Koalition und bei Ablehnung der Opposition Gesetzentwürfe der Bundesregierung (18/11235, 18/11237, 18/11536, 18/11560) zur Änderung des Maut-Gesetzes, das aufgrund des 2015 durch die EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens derzeit keine Anwendung findet. Mit den Änderungen wird ein zwischen EU-Kommission und Bundesregierung Ende 2016 gefundener Kompromiss umgesetzt. Das Vertragsverletzungsverfahren wird ausgesetzt - geänderten Preisen für Kurzzeitvignetten und einer stärkeren Steuerentlastung für umweltschonende Euro-6-Fahrzeuge sei Dank. Deutschen Fahrzeughaltern werden die Mautkosten - wie geplant -- über die Kfz-Steuer erstattet.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) war zufrieden. "Das ist ein echter Systemwechsel von der Steuerfinanzierung der Infrastruktur zur Nutzerfinanzierung", sagte er während der Debatte. Damit werde der Verkehrsetat künftig eine Grundausstattung von jährlich zehn Milliarden Euro erhalten. Mit dem Prinzip: Wer nutzt , der zahlt, schaffe man zudem "endlich Gerechtigkeit auf unseren Straßen". Deutlich weniger begeistert war Herbert Behrens (Die Linke). Er sprach von einer "Ausländermaut", die mit erheblichem Aufwand und viel Bürokratie verbunden sei, und die am Ende "möglicherweise ein Minusgeschäft ist".

Alles andere als enthusiastisch zeigte sich auch SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. "Die SPD stimmt unter großen Bauchschmerzen der Pkw-Maut zu", sagte er. Sie tue dies, weil die Maut im Koalitionsvertrag enthalten sei und die SPD "vertragstreu und ein verlässlicher Partner ist".

Für Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, ist jedoch auch das kein Grund, "den größten Unsinn mitzumachen". Die Große Koalition sei Beute einer kleinen Provinzpartei aus Bayern, befand er und warf den Abgeordneten von CDU und SPD vor, "Teil einer peinlichen Posse" zu sein.

Etwas verstört durch die Aussagen des SPD-Fraktionsvizes wirkte Steffen Bilger (CDU). Es sei falsch, all das schlecht zu reden, was gemeinsam erreicht worden sei, sagte er.

Wie weit die Meinungen in Sachen Pkw-Maut auseinandergehen, hatte sich vergangene Woche auch bei diversen Expertenanhörungen gezeigt. Vor allem ging es dabei um die Frage: Was bringt die Maut? Ist sie europarechtskonform?

Gerade die Einnahmeprognosen differieren erheblich. Das Verkehrsministerium (BMVI) geht von Mauteinnahmen durch ausländische Pkw in Höhe von 834 Millionen Euro aus, die nach Abzug der Systemkosten von 211 Millionen Euro sowie der Kosten für die zusätzliche Steuerentlastung in Höhe von 100 Millionen Euro zu einer Nettoeinnahme von 524 Millionen Euro führen.

Laut dem Verkehrswissenschaftler Ralf Ratzenberger ist hingegen im ersten Jahr nach Einführung mit einem Minus von 71 Millionen Euro zu rechnen. In den folgenden Jahren sei mit einer Erhöhung des Verlustbetrages zu rechnen, sagte er vor dem Verkehrsausschuss.

Die erheblichen Unterschiede bei den Einnahmeschätzungen durch ausländische Pkw-Fahrer (BMVI: 834 Millionen Euro, Ratzenberger 276 Millionen Euro) erklärte Ratzenberger mit unterschiedlichen Prognosewerten in Bereichen, für die es keine empirischen Grundlagen gebe. Dies beträfe vor allem die Zahl an Ein- und Durchfahrten (EuD) von Ausländern ohne Übernachtung, die nicht erfasst würden, da es keine Grenzkontrollen gebe. Während die Gesamtzahl in den Schätzungen kaum voneinander abwichen, gebe es erhebliche Unterschiede, was die Zahl der betroffenen Pkw angeht, sagte Ratzenberger.

Und in der Tat: 1.000 EuD ausländischer Pkw könnten sich auf fünf Fahrzeughalter beschränken, die aus Arbeitsgründen 200 Tage pro Jahr nach Deutschland fahren, eine Jahresvignette im Wert von durchschnittlich 70 Euro kaufen und so 350 Euro als Einnahme generieren. Das andere Extrem: Es kommen 1.000 verschiedene Pkw für einen Tag nach Deutschland, die jeweils eine Tagesvignette zum durchschnittlichen Preis von 12 Euro kaufen und somit für satte 12.000 Euro an Einnahmen sorgen.

Um diese Spannweite einzuschränken, würden Prognosewerte genutzt, sagte Ratzenberger. Das Ministerium gehe von 19,2 Millionen Fahrzeugen aus, die eine eigene Vignette kaufen müssten. Eine unplausible Annahme, wie der Experte urteilte. Seiner Schätzung nach liege die Zahl bei 7,8 Millionen Fahrzeugen, da insbesondere im "kleinen Grenzverkehr" ein und dasselbe Fahrzeug mehrfach deutsche Straßen nutze.

Wolfgang H. Schulz, Verkehrswissenschaftler an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, nannte die Prognose des Ministeriums hingegen plausibel. Sie sei konservativ gerechnet und enthalte einen Abschlag von 25 Prozent. Was die Tagesreisen ohne Übernachtung angeht, so könne niemand die genaue Zahl benennen. Das BMVI, so Schulz, habe seine Ansätze für die Tagesreisen ohne Übernachtung durch einen Analogieschluss aus den empirisch ermittelten Zahlen für Tagesreisen mit Übernachtung hergeleitet.

Europarecht Einen Schlagabtausch unter Wissenschaftlern gab es auch in Sachen Europarecht. Professor Franz Mayer von der Universität Bielefeld hält die Abgabe "nach wie vor für europarechtswidrig". Noch immer würden nur Inländer entlastet und daher Ausländer diskriminiert. Professor Christian Hillgruber von der Universität Bonn widersprach. Es liege keine mittelbare Diskriminierung von Ausländern vor, weshalb die Pkw-Maut auch nicht europarechtswidrig sei. Hillgruber verwies auf die Eurovignetten-Richtlinie, laut der ein angemessener Ausgleich zur Mauterhebung - auch über die Kfz-Steuer - möglich sei.

Das geänderte Mautgesetz muss nun noch in den Bundesrat, dessen Zustimmung zwar nicht benötigt wird, der aber durch Anrufung des Vermittlungsausschuss das Verfahren verzögern könnte. Zudem stehen noch immer Klagen einiger Nachbarländer vor dem Europäischen Gerichtshof im Raum. Verkehrsminister Dobrindt ist also noch nicht am Ziel.