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recht : Der Rechtsstaat korrigiert einen Fehler

Der Bundestag will die Opfer des sogenannten "Schwulen-Paragrafen" 175 rehabilitieren und entschädigen. Die damit verbundenen Rechtsfragen sind komplex

02.05.2017
2023-08-30T12:32:20.7200Z
4 Min

Selten herrscht im Bundestag so viel Einigkeit wie vergangenen Freitag in der Debatte über das Gesetz, das frühere Schuldsprüche wegen homosexueller Handlungen unter erwachsenen Männern aufheben und den Verurteilten eine Entschädigung von pauschal 3.000 Euro sowie 1.500 Euro für jedes angefangene Haftjahr zusprechen soll. Uneinig waren sich die Abgeordneten lediglich über den Umfang der Entschädigungsleistungen.

Zur Debatte standen erstmals neben dem Gesetzentwurf der Regierung (18/12038) "zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen" auch ein Gesetzentwurf (18/10117) und ein Antrag (18/10118 ) der Grünen. Darin fordern diese neben einer einmaligen Entschädigung eine dauerhafte Rente für Personen, "die aufgrund von Verurteilungen, aber auch wegen eines Ermittlungs- und Strafverfahrens Schaden an Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in ihrem beruflichen oder wirtschaftlichen Fortkommen erlitten haben".

Ein Strafmakel Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte, der Gesetzentwurf berühre "Grundfragen eines Rechtsstaats". Zu dessen Pfeilern gehöre die Rechtssicherheit, die es an sich verbiete, Urteile aufzuheben. Recht sei "aber auch der Wille zur Gerechtigkeit, und mit diesem Ideal der Gerechtigkeit ist es unvereinbar, dass Männer bis heute mit einem Strafmakel der Verurteilung leben müssen, nur weil sie homosexuell sind und ihre Sexualität gelebt haben". Rechtssicherheit bedeute, dass "ein Täter nicht erneut verfolgt werden kann und ein Opfer sich auf die Genugtuung durch ein Urteil verlassen darf". Bei den Urteilen, um die es hier gehe, "gab es jedoch keine Opfer, weil es sich um einvernehmliche Handlungen handelte", erläuterte Maas. Die angestrebte Rehabilitierung zeige, "was ebenfalls die Stärke eines Rechtsstaates ausmacht: Er hat die Kraft, seine eigenen Fehler zu korrigieren".

Ständige Angst Harald Petzold (Die Linke) bekundete, dass er sich "tief verneige vor all denjenigen, die unter diesem Paragrafen gelitten haben, vor allem vor denjenigen, die den heutigen Tag nicht mehr erleben". Er schilderte, auch aus seinem Bekanntenkreis, die Auswirkungen des sogenannten Schwulen-Paragrafen 175 über die Verurteilung hinaus: "Das Tuscheln der Nachbarn, der Verlust der Wohnung, das Mobbing, der Verlust des Arbeitsplatzes, aber auch die ständige Angst vor dem Entdecktwerden." Die Linksfraktion will dem Gesetzentwurf zustimmen, Petzold bat aber, in den Ausschussberatungen noch über Veränderungen nachzudenken. So warb er für eine Orientierung der Entschädigung am Opferentschädigungsgesetz mit höheren Leistungen und pauschalen Rentenzahlungen sowie für eine Härtefallregelung in jenen Fällen, wo allein das Ermittlungsverfahren schwerwiegende Folgen hatte. Ähnliche Wünsche brachte auch Volker Beck (Grüne) vor. Er verstehe nicht, warum man sich bei der Entschädigungsregelung nicht am NS-Unrechtsentschädigungsgesetz orientiert habe. Auch Beck erinnerte an die Folgen von Ermittlungsverfahren, selbst wenn am Ende ein Freispruch aus Mangel an Beweisen stand: "Aus dem Beamtenverhältnis entlassen, gekündigt vom Arbeitgeber, vom Wohnungsgeber". Der Rechtsstaat habe Fehler gemacht, erklärte Beck. Aber Demokratie und Rechtsstaat zeichneten sich nicht dadurch aus, dass sie keine falschen Entscheidungen träfen. "Wir zeichnen uns dadurch als allen Staatsformen überlegen aus, dass wir Fehler erkennen, eingestehen und Unrecht wieder beseitigen können".

Fragwürdiges Urteile Die Folgen der Urteile für die Betroffenen bewertete Stephan Harbarth (CDU) ähnlich wie die Opposition. Er lehnte es aber ab, generell von Unrechtsurteilen zu sprechen, auch hinsichtlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1957, das den Paragrafen 175 für grundgesetzkonform erklärt hatte. Dieses Urteil stoße heute auf Unverständnis, sagte Harbarth, sei aber "im demokratischen Rechtsstaat gesprochen" worden. Dieser sei "lernfähig und hat hier dazugelernt".

Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und Gudrun Zollner (CSU) sprachen übereinstimmend von verfassungspolitischem beziehungsweise verfassungsrechtlichem Neuland, das hier betreten werde. Es sei darauf zu achten, dass das Gesetz den Grundsätzen der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit gerecht werde, sagte Zollner, und dass kein Präzedenzfall geschaffen werde. Sütterlin-Waack hob aber auch hervor: "Wir korrigieren durch die Aufhebung der Gesetze nur uns selbst und nicht die Justiz, die zur Anwendung der Gesetze verpflichtet war und ist."

Eva Högl (SPD) bedauerte, dass es nach der vollständigen Abschaffung der Strafrechtsvorschriften gegen Homosexuelle 1994 "noch mal 23 Jahre gedauert hat, bis über Rehabilitierung gesprochen werden kann". Was die früheren Urteile angerichtet hätten, "können wir heute kaum wieder gut machen". Deshalb halte sie die vorgeschlagene Regelung eines pauschalen Schadenersatzes für richtig. Sie sagte aber zu, die Anregungen der Opposition zu prüfen. Högl wies darauf hin, dass mit der Novelle der Weg zur Gleichstellung Homosexueller noch nicht zu Ende sei. Noch immer gebe es Stigmatisierung und Übergriffe. Sie forderte, der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zuzustimmen. Außerdem regte Högl an, in der nächsten Legislaturperiode ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Orientierung im Grundgesetz zu verankern.