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Parlamentarisches Profil : Der Armutsforscher: Wolfgang Strengmann-Kuhn

02.05.2017
2023-08-30T12:32:20.7200Z
3 Min

Ein Beitrag zur Überwindung der Altersarmut? "Ein kleiner Beitrag" - das immerhin. Dass die Bundesregierung Erwerbsminderungsrentner besser stellen will, indem sie die Zurechnungszeit um drei Jahre anhebt, demnächst also auf das vollendete 65. Lebensjahr, findet der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn, "nicht falsch". Aber auch nicht überwältigend. "Was man eigentlich machen müsste", meint er: "Diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, ohne Abschläge in Rente gehen lassen." Das haben die Autoren des "Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" freilich als systemwidrig ausdrücklich abgelehnt.

Der habilitierte Volkswirt Strengmann-Kuhn, der ein halbes Wissenschaftlerleben mit Armutsforschung verbracht hat, kann darüber nur den Kopf schütteln. Systemwidrig im Sinne seiner Erfinder sei für Erwerbsminderungsrentner gerade der Abschlag. Sei er doch für Arbeitnehmer gedacht gewesen, die freiwillig früher in Rente gehen. Davon könne bei Menschen, die krankheitshalber das Berufsleben beenden müssen, indes keine Rede sein.

Der große Wurf, wie Strengmann-Kuhn ihn sich vorstellt, sähe ohnehin völlig anders aus. Die nachhaltige Antwort auf das Problem der Altersarmut, die er seit langem in wissenschaftlichen Publikationen wie in der Politik verficht, wäre eine steuerfinanzierte "Garantierente" von nach heutigem Wert 900 Euro im Monat. Sie stünde allen zu, die 30 Jahre in die Rentenkasse einzahlen und damit die Gewissheit hätten, im Alter ein Einkommen oberhalb des Niveaus der Grundsicherung zu beziehen. Was sie sich zusätzlich selbst ersparen, bliebe davon unberührt.

Zum Modell des demnächst 53-jährigen Grünen-Politikers, dessen eigene, in früheren Arbeitsverhältnissen an den Universitäten Bielefeld, Frankfurt am Main und Hohenheim erworbene Ansprüche an die gesetzliche Rente sich auf derzeit 500 Euro belaufen, gehört auch, dass alle in die Rentenkasse einzahlen sollten. Auch Selbständige. Auch Abgeordnete. Dass ihm aus seiner Zeit im Deutschen Bundestag künftig höhere Alterseinkünfte zustehen sollen als aus seiner Beschäftigung als Wissenschaftler, findet er ungerecht. Er möchte zudem den Rentenbeitrag vom Arbeitsverhältnis entkoppeln, eine Bürger- statt einer Erwerbstätigenversicherung.

Zur Sozialpolitik - "mein Herz-, Leib- und Magenthema"- fand Strengmann-Kuhn als Student der Volkswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld. Das war Ende der 1980er Jahre, als er ein Seminar belegt hatte über "Theorie der Alterssicherung". Daraus erwuchs eine Diplomarbeit über mögliche ökonomische Effekte einer Mindestrente. Von Bielefeld wechselte Strengmann-Kuhn Mitte der 1990er Jahre nach Frankfurt an den Lehrstuhl des Ökonomen Richard Hauser für "Verteilungs- und Sozialpolitik". Thema seiner dortigen Dissertation: "Armut trotz Erwerbstätigkeit".

Mit den Grünen verbindet ihn eine bis in deren Gründungsphase zurückreichende, dauerhafte, wenn auch nicht durchweg störungsfreie Beziehung. Er war 17, die Partei gerade mal ein Jahr alt, als er 1981 in seiner niederrheinischen Heimatstadt Moers Mitglied wurde: "Das ist die Zeit, in der man politisch sozialisiert wird." Friedensbewegung, Umwelt, soziale Gerechtigkeit waren seine Themen. Den Ausschlag gab indes die Begegnung mit einem anderen Niederrheiner, dem Künstler Joseph Beuys, der sich 1979 für die damals noch werdenden Grünen um einen Sitz im Europarlament beworben hatte.

Als die Partei 1999 der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg zustimmte, kehrte ihr der enttäuschte Pazifist den Rücken. Zwei Jahre hielt er es im politischen Niemandsland aus, dann trat er wieder ein und kandidierte 2005 auf der hessischen Landesliste für den Bundestag. Der Einzug gelang damals erst 2008 als Nachrücker. Nach der nächsten Wahl 2009 war er von Anfang an dabei, wurde rentenpolitischer Sprecher und Mitglied im Sozialausschuss. Seit 2014 erlebt er jetzt seine dritte Legislaturperiode und hofft, dass es nicht die letzte ist.