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Ortstermin: Eingangshalle des Reichstagsgebäudes : »Vor den Erinnerungen nicht wegducken«

11.09.2017
2023-08-30T12:32:26.7200Z
2 Min

Schwarz, Rot, Gold - hinter Glas leuchten die Nationalfarben an der Wand in der Eingangshalle des Reichstagsgebäudes. Auf 21 mal drei Metern, monumental, durch das Glas aber zugleich an die Zerbrechlichkeit eines demokratischen Gemeinwesens erinnernd - so prägt die Installation des Künstlers Gerhard Richter die Eingangshalle des Parlaments seit 1999. Seit vergangener Woche wird sie durch ein weiteres Werk des weltbekannten Malers ergänzt: den vierteiligen Bilderzyklus "Birkenau".

Schwarz und Grautöne, unterbrochen von Tiefrot, Dunkelgrün und stechendem Weiß hängen der schwarz-rot-goldenen Komposition nun gegenüber. Düster, beklemmend wirken die vier ungegenständlichen Gemälde. Und diesen Effekt sollen sie haben: Hinter den abstrakten Farbkompositionen verbergen sich konkrete Gräuel der deutschen Geschichte. "Birkenau" ist eine Auseinandersetzung Richters mit dem nationalsozialistischen Massenmord. Ausgangspunkt des Zyklus waren Fotografien, die ein Häftling im August 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau heimlich aufgenommen hatte. Fotograf und Abgebildete gehörten zum sogenannten Sonderkommando, einer isolierten Gruppe von Häftlingen, die die Exekution der anderen Gefangenen vorbereiten und Leichen verbrennen mussten. Anschließend wurden auch sie ermordet.

Im Jahr 2008 wird eine der historischen Aufnahmen zur Buchbesprechung von "Bilder trotz allem" des französischen Kunsthistorikers Georges Didi-Huberman in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" abgedruckt. Die Fotografie lässt Richter nicht los. "Wie Gartenarbeiter, die Abfälle verbrennen", hätten die Häftlinge gewirkt, sagte der Künstler einmal in einem Interview. "Das stand in so einem erschreckenden Gegensatz zum tatsächlichen Geschehen." Richter liest das Buch, das sich mit den vier Fotografien aus dem größten NS-Vernichtungslager auseinandersetzt. Bald darauf beginnt er mit der Arbeit an dem Bilderzyklus. Zunächst überträgt er die Fotos auf Leinwand. Doch schnell merkt er, dass das Konzept nicht aufgeht. Es gebe Fotos, die er durchs Abmalen nur zu schlechten Bildern machen könnte, sagte er dazu vor Jahren. Man könne diese beschreiben, ihnen eine Musik oder ein abstraktes Bild widmen.

Abkratzen, Übermalen, Bearbeiten mit der Rakel folgen, bis die vier abstrakten Bilder entstehen. Es handle sich um "eine sehr konkrete Auseinandersetzung mit einer sehr konkreten, nicht löschbaren, nicht verdrängbaren Phase der deutschen Geschichte", betonte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bei der Übergabe des Werks in der vergangenen Woche. Der "Birkenau"-Zyklus sei Ergebnis eines langen Prozesses der Auseinandersetzung mit den großen traumatischen Erfahrungen der deutschen Geschichte.

Der 1932 in Dresden geborene Richter sucht seit den 1960er Jahren künstlerische Ausdrucksformen für das Erinnern an Nationalsozialismus und die Opfer des Holocausts. Er malte seinen Onkel Rudi in Wehrmachtsuniform ebenso wie seine in der "Euthanasie"-Anstalt Großschweidnitz ermordete Tante Marianne. 2014 folgte die Birkenau-Serie, deren fotografische Reproduktionen nun im Reichstagsgebäude zu sehen sind. Parlamentspräsident Lammert kann sich keinen besseren Ort für das Werk vorstellen. "Jeder, der jetzt an diesen Platz der deutschen Demokratie will, muss hier hindurch - zwischen Birkenau und Nationalflagge", sagte er. "Das sind Erinnerungen, vor denen wir uns nicht wegducken dürfen, sondern die wir im Bewusstsein behalten müssen." Eva Bräth