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NSA-Untersuchungsausschuss : Müll in der Selektorengruft

Ex-BND-Chef Gerhard Schindler über die Suche des Geheimdienstes nach seinem Auftrag

23.01.2017
2023-08-30T12:32:14.7200Z
3 Min

Als Gerhard Schindler Anfang 2012 Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) wurde, ahnte er, dass er einen Sanierungsfall übernahm. Er holte sich Unternehmensberater ins Haus und ließ es sich bestätigen: Da lag einiges im Argen, nicht zuletzt in der Abteilung Technische Aufklärung (TA), die den weltweiten Abhörbetrieb zu organisieren hat.

Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss zeichnete Schindler am vergangenen Donnerstag ein erschütterndes Bild. Was er vorfand, waren verunsicherte, durch parlamentarische Ermittlungen eingeschüchterte Mitarbeiter, die nicht mehr wussten, was sie noch durften und was nicht. Eine Behörde, deren "Auftrag zu breit aufgestellt" war, und die mit dem Anspruch, weltweit Aufklärung zu betreiben, an der Grenze ihrer Ressourcen operierte.

Völlig abhanden gekommen war der Überblick über das eigene Geschäftsfeld. Die Abteilung TA hortete gewaltige Datenbanken mit Selektoren, Suchmerkmalen zur Aufschlüsselung der in der Fernmeldeaufklärung gewonnenen Erkenntnisse. Indes: Der Bestand enthielt Unmengen von Selektoren, die seit Jahren keine Treffer mehr geliefert hatten.

Die Unternehmensberater verschrieben ihre Rezepte: Entrümpeln, verschlanken, Qualitätsmanagement. Im Mai 2013, berichtete Schindler, habe das Sanierungswerk beginnen sollen. Einen Monat später überrollte die Snowden-Affäre den BND.

Jetzt wurde es zum Problem, dass in der Selektorengruft nicht nur harmloser Müll schlummerte. Da waren auch Zeitbomben versteckt. Suchmerkmale von potentiell zerstörerischer politischer Brisanz. Niemand im BND, so Schindler, habe davon die leiseste Ahnung gehabt.

Unheimliche Sammlung Dem Ausschuss berichtete der Zeuge von einem Schlüsselmoment seiner Präsidentschaft Ende Oktober 2013. Die Kanzlerin hatte soeben zum wiederholten Mal ihrer Überzeugung Ausdruck verliehen, "Ausspähen unter Freunden" sei etwas, das "gar nicht" gehe, da erreichte Schindler eine Warnung aus der Abteilung TA. Sie lautete, "dass wir doch eine Reihe von Länderzielen gesteuert haben, die man technisch als Freunde bezeichnen kann".

Also nicht nur die Amerikaner, auch die eigenen Leute hatten "eine beachtliche Anzahl von EU- und Nato-Zielen" ausgeforscht, was mit Blick auf die Ansichten der Kanzlerin "vielleicht politische Probleme" aufwerfen konnte. Wenige Tage später hielt der BND-Präsdident eine Liste der einschlägigen, wohlgemerkt BND-eigenen Selektoren in der Hand - "Ich sehe die Liste noch vor mir" -, und ihm wurde mulmig ums Herz. Da waren unter anderem reihenweise Telekommunikationsmerkmale der Botschaften von EU- und Nato-Staaten verzeichnet: "In dieser Sammlung kam mir das doch ein bisschen ungeheuer vor."

Ein ähnlich einschneidendes Erlebnis widerfuhr dem Zeugen anderthalb Jahre später. Auf eine Anfrage des NSA-Ausschusses hin hatte der BND im März 2015 die "Ablehnungsliste" mit knapp 40.000 politisch fragwürdigen Selektoren ausgedruckt, die die amerikanische National Security Agency (NSA) im Hochposten Bad Aibling eingespeist hatte: "Das geschah erstmals in der Geschichte der Abteilung TA."

Dass es diese Liste gab, war in der Abteilung seit Spätsommer 2013 ein sorgsam gehütetes Geheimnis. Jetzt lag das schwergewichtige Konvolut zum Anfassen auf dem Tisch: "Es bestand im BND kein Wissen: Es gibt die Ablehnungsliste", beteuerte Schindler. "Die musste man erst finden." Die Dimension des Problems sei bis dahin "überhaupt nicht bekannt" gewesen: "Erst im März 2015 war man beim BND mit der Aufarbeitung so weit, dass man den Umfang erkannte." Womit aus Sicht Schindlers die Eingangsfrage des Vorsitzenden Patrick Sensburg (CDU) beantwortet war: Wie konnte es überhaupt geschehen, dass der BND abweichend vom eigenen Auftragsprofil spionierte?