Piwik Webtracking Image

MIGRATION : Ein Reizthema

SPD-Entwurf zu Einwanderung im Disput

27.11.2017
2023-08-30T12:32:30.7200Z
4 Min

Schon in früheren Wahlperioden hat die Einwanderungspolitik im Bundestag für heftige Kontroversen gesorgt; vergangene Woche nun stand sie erstmals auf der Tagesordnung des neuen Bundestags mit nunmehr sechs Fraktionen und teilweise - erwartbar - neuer Tonlage. In erster Lesung ging es dabei um den SPD-Entwurf eines Einwanderungsgesetzes (19/44), drei Tage nach dem Platzen der "Jamaika"-Sondierungen: eine Aussprache also ohne das übliche Rollenspiel von Regierung und Opposition, ohne Koalitionszwänge - das entspricht nicht gerade dem gewohnten Debattenschema im Parlament. Gänzlich außen vor blieb die Frage nach Optionen zur Regierungsbildung dabei freilich nicht, wie schon im ersten Beitrag deutlich wurde.

Den nutzte Sebastian Hartmann (SPD), um sozialdemokratischen Widerstand gegen eine Neuauflage der Großen Koalition zu begründen. Schon vor einem Jahr habe seine Fraktion einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt, doch sei er an der Union gescheitert, führte Hartmann als Antwort auf die Frage an, "warum man nicht einfach auf einen Knopf drücken und sagen kann, die eine Große Koalition möge doch die andere Große Koalition ablösen". Erneut eingebracht habe man die Vorlage nun, weil es bei der Union ein "taktisches Umfallen" gegeben und sie sich bei der Fachkräftezuwanderung offen gezeigt habe, "als es darum ging, ,Jamaika' zu ermöglichen". Sollten die "Wortmeldungen in den vergangenen Tage stimmen", müsse es im Parlament "eine sehr breite Mehrheit für die Neuordnung der Zuwanderung im Hinblick auf die Arbeitsmigration geben", fügte Hartmann hinzu und verwies auf den für die nächsten Jahrzehnte erwarteten Bevölkerungsrückgang in Deutschland: "Uns werden fünf Millionen gut qualifizierte Arbeitskräfte fehlen", warnte er.

Ziel der SPD-Vorlage ist es, "die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften nach den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes zu steuern und zu gestalten". Dazu soll ein Punktesystem eingeführt werden, das sich an Drittstaatsangehörige richtet, die zur Erwerbstätigkeit oder Arbeitsplatzsuche nach Deutschland einwandern möchten. Dabei soll der Bundestag - auf Vorschlag der Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates - jedes Jahr neu festlegen, wie viele Menschen tatsächlich einwandern können. Basieren soll das Punktesystem auf mindestens sechs Kriterien, nämlich "Berufsqualifikationen, Sprachkenntnisse, Alter, Integrationsaspekte, Berufserfahrung und das Vorliegen eines Arbeitsplatzangebotes".

Gemischtes Echo Während der SPD-Vorstoß in der FDP- und der Grünen-Fraktion neben Kritik im Detail ein positives Echo fand, wandte sich die Union gegen ein Punktesystem und plädierte zugleich "für eine Modernisierung der Fachkräftezuwanderung". AfD und Die Linke äußerten harsche Kritik an dem Gesetzentwurf.

Stephan Mayer (CSU) bemängelte, die SPD schlage ein "Punktesystem von gestern" vor. Gebraucht werde jedoch ein "modernes, zukunftsweisendes Zuwanderungsrecht". Dabei sei Deutschland bereits ein "hochattraktives Zuwanderungsland für Fachkräfte". Allein im vergangenen Jahr seien 204.000 Aufenthaltserlaubnisse zum Zweck der Ausbildung und der Erwerbstätigkeit an Nicht-EU-Bürger erteilt worden, und dieser Trend setze sich fort. Auch seien 2016 aus den anderen EU-Staaten 634.000 Menschen nach Deutschland gekommen. "Man sieht also sehr wohl, dass unser Zuwanderungsrecht funktioniert und in der Lage ist, dem Bedarf Rechnung zu tragen", argumentierte Mayer. Ansgar Heveling (CDU) bezeichnete die bestehenden Einwanderungsregelungen zu Arbeitszwecken als "gut". Er versicherte zugleich, dass als Ergänzung dazu für seine Fraktion "ein Fachkräftezuwanderungsgesetz ganz oben auf der Agenda steht", das aber eine "sinnvolle Steuerung der Arbeitsmigration" ermöglichen müsse.

Stephan Thomae (FDP) nannte die im SPD-Entwurf aufgeführten Kriterien "gute Ansätze". Der Gesetzentwurf gehe in die richtige Richtung und finde bei seiner Fraktion "Zuspruch und Sympathie", springe aber "in ein paar Punkten vielleicht etwas zu kurz". Aus Sicht der Freidemokraten "wäre es sinnvoll, eine Reform der Blue-Card-Regelungen für Einwanderer mit Arbeitsplatzangebot durchzuführen und parallel dazu ein Punktesystem für Einwanderer ohne Arbeitsplatzangebot einzuführen".

Filiz Polat (Grüne) wertete es als "historisch", dass die SPD "endlich ein Einwanderungsgesetz über ein Punktesystem" einbringe. Die Sozialdemokraten stellten aber "das System der Einwanderung nach Punktesystem, das wir durchaus unterstützen", neben das bisher geltende Recht, "das die Regelungen zur Arbeitsmigration eben nicht vereinfacht, sondern unübersichtlicher macht", kritisierte Polat. Zugleich verwies sie auf einen Grünen-Entwurf für ein Einwanderungsgesetz, in dem es anders als im SPD-Vorschlag zu einem Paradigmenwechsel "vom bisherigen nachfrageorientierten zu einem angebotsorientierten System" komme.

Heftige Töne Gottfried Curio (AfD) sagte, die SPD wolle die "demografische Lücke an qualifizierten Arbeitskräften schließen und ungeordnete Zuwanderung steuern", verfehle aber beide Ziele. Ein hoher Einwanderungssaldo könne die "demografische Schrumpfung" kaum kompensieren; so viele Qualifizierte werde es nicht geben. Die "Flutung mit Geringqualifizierten plus geplantem Familiennachzug" stabilisiere nicht Arbeitsmarkt und Rentensystem, sondern erhöhe Arbeitslosigkeit und Sozialleistungsbezug. "Zielführend wäre die Erhöhung der Geburtenrate" und vorrangig eine "aktivierende" Familienpolitik, "statt das eigene Volk auszutauschen".

Zaklin Nastic (Linke) kritisierte, nach den Vorstellungen der SPD - was "auch für die Grünen und die FDP bis hin zu Pegida" gelte - solle ein Punktesystem entscheiden, wer zwecks Berufserwerb einwandern darf. Das nenne sie "Nützlichkeitsrassismus", fügte Nastic hinzu. Deutsche und ausländische Arbeitnehmer sollten "in Konkurrenz um Billiglöhne und prekäre Berufsperspektiven gegeneinander ausgespielt werden". Das sei entwürdigend. Wer Fachkräfte brauche, müsse sie hierzulande ausbilden und gut bezahlen, "egal, woher sie kommen".