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Martin Seiwert
Diesel vor Aus?

Die deutsche Automobilbranche muss sich neu orientieren. Eine Analyse

Es ist ruhig geworden an der Dieselgate-Front; nur noch selten schafft es der Abgasskandal in die Schlagzeiten. Seine Folgen jedoch sind noch längst nicht ausgestanden.

Volkswagen kann bisher nur für rund eine halbe Million betroffener US-Kunden eine zufriedenstellende Lösung in Form von Entschädigungen vorweisen, nicht aber für die zehn Millionen Kunden im Rest der Welt. Allein in Deutschland blicken zweieinhalb Millionen VW-, Audi-, Skoda- und Seat-Fahrer neidisch Richtung USA, wo Kunden tausende Dollar Entschädigung erhalten oder ihr Auto zurückgeben können.

Müsste VW in Europa ähnlich hohe Entschädigungen zahlen, drohte Deutschlands größtem Konzern die Insolvenz. Europas Regierungen zeigen daran aber kein Interesse. Aus dem Schneider ist VW indes noch nicht, denn Privatkläger in aller Welt fordern hohen Schadenersatz.

Zudem fährt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) schwere Geschütze gegen die Autohersteller auf. Sollte sie eines der angerufenen Verwaltungsgerichte überzeugen, die Betriebserlaubnis für besonders schmutzige Diesel-Modelle zu entziehen, wäre eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die Wagen würden ohne aufwändige Nachrüstung wertlos und ihre Besitzer Kopf stehen.

Betroffen wäre wohl nicht nur der VW-Konzern. Auch bei Mercedes und Opel greift die DUH die Betriebserlaubnis einiger Modelle an. Die Mercedes C-Klasse 250 d etwa soll bei Temperaturen unter sechs Grad den Stickoxidgrenzwert auf der Straße um das bis zu 13-fache übersteigen. Auch bei Diesel-Pkw von BMW hat die DUH überhöhte Stickoxidemissionen gemessen und sieht Anhaltspunkte für illegale Abschalteinrichtungen. Mercedes, BMW und Opel betonen dagegen, dass Emissionen im Normalbetrieb deutlich höher sein dürfen als in Zulassungstests.

Nicht nur deutsche Hersteller haben schlechte Testergebnisse. Herrschen nicht gerade sommerliche Temperaturen, regeln die meisten Autobauer die Stickoxidreinigung herunter. Nach ihren Angaben dient das dem Schutz des Motors, doch der Verdacht liegt nahe, dass den Kunden das häufige Nachfüllen der Flüssigkeit Adblue erspart werden soll. AdBlue neutralisiert Stickoxide im Abgas, muss aber in relativ kleinen Tanks mitgeführt werden.

Auch wenn künftig alle neuen Diesel-Autos eine AdBlue-Reinigung haben, dürfte das Vertrauen der Kunden so kaum zurückzugewinnen sein. Denn auch viele neue Modelle sind trotz AdBlue-Technik und Euro-6-Schadstoffeinstufung wahre Stickoxidschleudern. "Wenn Bürger ganz sicher sein wollen, dass sie eines Tages nicht von Fahrverboten betroffen werden, dann müssten sie ein Fahrzeug kaufen, das nach der Euro-6d-Norm zugelassen ist", sagt deshalb Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Nur die strengste Abgasnorm 6d garantiert gute Schadstoffwerte, doch es gibt solche Autos bis auf wenige Ausnahmen noch gar nicht zu kaufen.

Sinkender Absatz Kein Wunder, dass der Absatz von Diesel-Neuwagen einbricht. Die Neuzulassungen sanken im November um 17 Prozent gegnüber dem Vorjahresmonat. "Die Zukunft des Diesel-Antriebs bleibt ungeklärt, es drohen Fahrverbote und sinkende Wiederverkaufswerte", sagt Peter Fuß, Autoexperte der Unternehmensberatung Ernst & Young. "Es sieht also nicht gut aus für den Diesel-Antrieb, die Nachfrage nach Selbstzündern dürfte längerfristig zurückgehen."

Keine Autoindustrie hat so auf den Diesel vertraut wie die deutsche; nun wird sie überproportional von dessen Niedergang getroffen. Kunden wechseln zu Herstellern mit sparsameren Benzinern wie Toyota mit seiner Hybrid-Flotte. Vor allem wird der deutschen Branche bewusst, dass der Diesel als Klimaschutztechnologie weitgehend erledigt ist. Sein geringer Vorteil bei klimaschädlichen CO2-Emissionen wird durch die sinkenden Verkaufszahlen für die Hersteller noch irrelevanter.

Zusätzlicher Druck kommt durch neue Abgasmessverfahren bei der Zulassung. Ab September 2018 ist für Neuwagen das WLTP-Testverfahren Pflicht, bei dem die Messungen näher am echten Verbrauch und damit verbundenen CO2-Ausstoß liegen. Die Hersteller müssen also höhere CO2-Werte angeben, was die Einhaltung politisch gesetzter Obergrenzen erschwert.

Das trifft auch Benziner, ist aber beim Diesel dramatischer: Da im WLTP höhere Geschwindigkeiten gemessen werden, haben Selbstzünder mehr Probleme, die Stickoxidgrenzwerte einzuhalten. Das ist technisch lösbar, steigert aber den CO2-Ausstoß. Folge: Der Klima-Vorteil des Diesel schrumpft weiter. Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn in der EU ab Herbst 2019 bei der Zulassung nicht nur im Labor, sondern auch auf der Straße gemessen wird.

So erscheint die von VW, BMW und Daimler seit Jahrzehnten propagierte Diesel-Strategie als Holzweg. Besser lagen Japans Autobauer mit der Benzin-Hybrid-Technik. Hybridautos können die Bremsenergie zurückgewinnen, speichern und mittels Elektromotor nutzen. Das Ergebnis sind Benziner ohne Stickoxidprobleme, denen folglich keine Fahrverbote in Innenstädten drohen, die CO2-ärmer sind als Diesel und in der Anschaffung für die Kunden nicht teurer - und sich somit auch mehr empfehlen als Übergangstechnik zum E-Auto.

Zwei Narrative In der hiesigen Autoindustrie gibt es derzeit zwei Narrative: Das von den deutschen Autobauern, die so gute und bezahlbare E-Autos wie die Konkurrenz bauen können und schnellstmöglich an die Kunden bringen wollen. Zweistellige Milliardensummen investieren VW, BMW und Daimler derzeit in diesen Vorstoß. Und es gibt das Narrativ vom nahezu ewigen Leben des Verbrennungsmotors und vom Diesel als unverzichtbarer, klimafreundlicher Brückentechnologie auf dem Weg zum elektrischen Fahren. Diese Story steht in Widerspruch zu den Milliardeninvestitionen ins Batterieauto. Sie erklärt sich nur dadurch, dass Deutschlands Autobauer, über Jahrzehnte führend beim Verbrennungsmotor, diesen Vorsprung möglichst spät aufgeben wollen, zumal hier die Investitionen in Erfindungen und Produktion längst abgeschrieben sind.

Diesem zweiten Narrativ entspringen eher realitätsfern scheinende Visionen wie die vom Wasserstoffauto oder von klimaneutralen, synthetischen Kraftstoffen - solche Kraftstoffe stünden erst in etlichen Jahren zur Verfügung, ebenso eine flächendeckende Versorgung mit sauberem Wasserstoff.

Das Batterie-Elektroauto ist indes Realität: leise, lokal emissionsfrei und CO2-neutral, wenn mit grünem Strom betankt. E-Autos haben bereits Reichweiten bis zu 600 Kilometern. 2019 bringt Porsche ein E-Auto, das in 15 Minuten geladen werden kann, und 2020 VW Modelle, die nicht teurer als Diesel sind, aber günstiger beim Unterhalt.

Zudem machen die EU, China, USA und andere Klimaschutzvorgaben, die für die Autobauer ohne E-Autos in zwei oder drei Jahren nicht mehr zu schaffen sein dürften. Der Wandel zum batterieelektrischen Auto wurde durch Wähler und Regierungen vorgegeben. Hersteller, die jetzt schnell sind, können den Wandel mitgestalten. Der Rest könnte im kommenden Jahrzehnt im Abseits stehen.

Der Autor ist Redakteur

der "Wirtschaftswoche".

Aus Politik und Zeitgeschichte

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