Wenn man eines sicher sagen kann zum neuen Flughafen in Berlin, dann das: Die Stadt wird ein Problem haben, wenn sie ihn endlich eröffnet - denn er ist im Grunde schon jetzt zu klein. Alles andere ist dagegen in der Schwebe. Ob und wann der Bau je fertig sein könnte oder wie teuer er am Ende sein wird, ist unsicher. Der BER, wie er in Kurzform genannt wird, ist vom Traumprojekt zum großen Albtraum geworden. Es ist aber nur eines von vielen Flughafengroßprojekten der Republik, die ganz anders laufen als geplant.
Auch in München hatten sich die Beteiligten die Sache anders vorgestellt. Dort wurde 2007 über eine dritte Landebahn so erbittert gestritten, dass ein Volksentscheid Klarheit bringen musste. Die Planer rechtfertigten den Zubau mit einer gewaltigen Wachstumsprognose: In München würden 2015 rund 47 Millionen Passagiere abheben, 2020 mehr als 57 Millionen, hieß es. Tatsächlich gingen dort in diesem Jahr aber nur rund 42 Millionen Fluggäste in die Luft. Dass es schon in drei Jahren 15 Millionen mehr sein werden, ist eher ausschließen. Die Prognosen waren viel zu optimistisch, verdeutlichen aber auf das Beste das Problem von Flughafenbauern und Betreibern.
Eines sei klar, sagt Flughafenarchitekt Dieter Faulenbach da Costa, der auch den BER mitgeplant hat: "Die Luftfahrtbranche ist ein Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung, deshalb werden die Zahlen auf hohen Niveau weiter steigen." Tatsächlich klettern die Fluggastzahlen seit Jahren unaufhörlich, wie die Verkehrsstatistiken des Air Traffic Reports und des deutschen Flughafenverbands ADV zeigen. Die Reiselust ist ungebrochen, der Konferenzverkehr nimmt zu und die enorme Konkurrenz unter den Airlines heizt den Markt kräftig an. Aber: Seit Jahren geht es der Flugbranche auch wie der Gesamtwirtschaft. Die ganz großen Zuwachsraten gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Das Wachstum schwächt sich ab und konzentriert sich auf wenige Standorte.
So wachsen zwar die ganz großen internationalen Flughäfen stark, die kleineren regionalen dagegen weniger. Zudem boomt die Branche zunehmend nicht mehr in Europa, sondern vor allem in Asien und dem Mittleren Osten. Von daher lässt sich extrem schwer prognostizieren, wo die Passagier- und Luftfrachtzahlen wachsen werden und wie stark. Und es gibt immer wieder Überraschungen: Dass hierzulande zuletzt ausgerechnet Münster/Osnabrück, Nürnberg und Erfurt das größte Passagier-Wachstum verzeichnen würden (mit einen Plus von 25 Prozent), oder Karlsruhe, Dresden und Frankfurt-Hahn ihre Cargoquoten sogar um 77 Prozent in der Spitze steigern könnten, hätten vor Jahren wohl die wenigsten erwartet. In Berlin war das Problem, dass direkt nach der Wiedervereinigung niemand schätzen konnte, wie viele Fluggäste dort wohl realistisch seien. Es fehlten schlicht die Referenzwerte.
Dennoch ist es die Aufgabe von Flughafenplanern, genau so etwas bereits 20 Jahre im Voraus zu ahnen. Was einigermaßen unmöglich scheint. Vor allem drei Dinge machen ihnen die Arbeit schwer: Langwierige Planungsverfahren, fehlende Koordinierung durch den Bund und das deutsche Planungsrecht.
»Nicht konkurrenzfähig« So ziehen sich die Planungen für Großprojekte hierzulande über viele Jahre. "Allein Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren für große Infrastrukturprojekte dauern im Durchschnitt zehn bis 20 Jahre", moniert selbst das Bundesverkehrsministerium in einem Gutachten zur Flughafen-Infrastruktur: "Im internationalen Vergleich beanspruchen diese Verfahren hierzulande damit mehr als die doppelte Zeit." Dies sei nicht konkurrenzfähig. Einer der Gründe dafür ist, dass die Behörden über Jahre eigenes Personal abgebaut haben und dadurch kaum noch in der Lage sind, die Vielzahl der Projekte selbst zu bearbeiten. Sie lagern vieles an private Experten aus - die dann allerdings vor allem eines sind: begeisterte Verfechter solcher Projekte, denn sie profitieren ja mit vom Ausbau.
Durch die langen Planungszeiten wachse die Wahrscheinlichkeit enorm, dass während der Bauphase Unvorhergesehenes passiere und nachgesteuert werden müsse, betont Oxford-Ökonom Bent Flyberg, der viel zu Infrastrukturgroßprojekten geforscht hat. So wie es in Berlin geschehen ist. Oft rächt sich zudem, dass die Technik für jeden Flughafen maßgeschneidert wird und deshalb nicht kurzfristig erweiterbar ist. Das musste man am BER schmerzlich bei der Gepäckanlage erfahren. Letztlich finde jede Flughafeneröffnung mit so starker Zeitverzögerung statt, dass viele Airports dann schon wieder zu klein seien, warnen die Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts IW: "Für den bedarfsgerechten Ausbau müsste man die Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigen."
Zweitens fehlt ein Bundesplan, damit die großen Flughäfen gezielt ausgebaut werden und nicht - wie bisher - dreistellige Millionenbeträge in dutzende Regionalstandorte wie Kassel-Calden fließen. So ein Plan ließe sich sogar durchsetzen, obwohl Flughäfen Ländersache sind, meint Dieter Faulenbach da Costa: "Der Bund zahlt Zuschüsse für den Bau. Er könnte also über die Frage, welcher Flughafen Geld bekommt, in die Raumordnung der Länder eingreifen. 60 Flughäfen zu unterhalten, ist jedenfalls falsch." Für einen konzertierten Gesamtplan bräuchte es aber erst einmal einen Verkehrminister, der das nötige "Problemlösungsbewusstsein" habe, sagt Faulenbach da Costa: "Bisher haben alle nach der Devise gehandelt: Darum kümmern wir uns morgen. Es ist ja noch immer gut gegangen."
Das dritte Problem sieht der Flughafenarchitekt im hiesigen Planungsrecht. "Bei uns darf ein Flughafen nur nach Bedarf ausgebaut werden und nicht vorausschauend." Tatsächlich können Erweiterungen erst geplant werden, wenn der Airport bereits am Rande seiner Kapazitäten ist. Oft ist der Druck dann aber schon so groß, dass die Betreiber den Ausbau mit allen Mitteln durchdrücken wollen. Die Angst der Anwohner vor noch mehr Lärm und Abgasen wird in der Folge so übermächtig, dass sie alles daransetzen, den Ausbau zu stoppen.
So war es auch in München. Der Volksentscheid fiel gegen die neue Landebahn aus, doch bindend ist er nicht. Die Flughafengesellschaft hat einige Jahre ins Land gehen lassen, aber der Bau gilt als ausgemacht. Ähnlich lief es in Frankfurt. Dort urteilten die Gerichte 1971 beim Streit um die Starbahn West: Eine neue Startbahn sei unbegründet, "es wird niemals eine weitere geben". 2011 wurde sie dennoch in Betrieb genommen. Die Lufthansa hatte gedroht, nach München abzuwandern. Die Anwohner klagten erneut, unterlagen aber diesmal. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die Luftfahrtbranche hierzulande einen Prozess verliert, ist gering", sagt Faulenbach da Costa. "Keine andere Verkehrsart wird so privilegiert wie die Luftfahrt."
Die Ängste der Bewohner vor noch mehr Lärm versteht er sehr gut. Aber gerade deshalb müsse es einen vorausschauenden Ausbau geben, findet er: Wenn ein Flughafen nicht nur zwei völlig überlastete Landebahnen habe, sondern fünf oder sechs wie Schiphol in Amsterdam, könne er den Verkehr jeweils dorthin leiten, wo die Lärm- und Abgasbelastung je nach Windrichtung für die Anwohner am geringsten ist. Das aber geht nach deutschem Recht nicht. Der Flughafenarchitekt verweist auf weitere Statistiken: Zwar stiegen die Passagierzahlen insgesamt an. Die Zahl der Flugbewegungen habe sich jedoch seit 2006 sowohl in Frankfurt als auch in München kaum verändert.
Die Autorin ist freie Journalistin in München.
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