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Mobiles Arbeiten
Interview
»Der Knackpunkt ist die Ruhezeit«

Sabine Wolter vom IAB über die Chancen und Risiken dieser Arbeitsform

Frau Wolter, Texte über mobiles Arbeiten werden gerne mit Menschen im Café bebildert, vor sich Laptop und Latte Macchiato. Stimmt dieses Klischee?

Nein. Die größten Anteil machen die klassischen Telearbeiter aus, die während ihrer Arbeitszeit einen Teil ihrer Arbeit von zu Hause aus erledigen. Und natürlich die Führungskräfte, die sehr oft zusätzlich zu ihrer Bürozeit abends zu Hause weiterarbeiten.

Mobiles Arbeiten eignet sich nicht für alle Berufe. Für welche bietet es sich an?

Es gibt hier einen deutlichen Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten. 30 Prozent der Angestellten sagen, dass sie zumindest gelegentlich von zu Hause aus arbeiten können oder dies schon tun. Bei den Arbeitern sind es nur zwei Prozent. Es ist also vor allem für Beschäftigte in Vertrieb, Verwaltung und Dienstleistung möglich, weniger für Beschäftigte in der Produktion.

Wirkt sich der Trend nachhaltig auf die Arbeitskultur in Deutschland aus?

Beschäftigte, die zu Hause arbeiten, können nach eigener Aussage Arbeit und Freizeit besser miteinander vereinbaren. Sie sind auch zufriedener mit ihrer Arbeit. Wie sich das langfristig auswirkt, können wir noch nicht abschätzen. Aber die Zahl der Betriebe, die Home-Office anbieten, steigt. 2014 waren es 32 Prozent und 2016 waren immerhin schon 36 Prozent.

Oft ist Home-Office mit der Erwartung verbunden, Arbeit und Familie besser vereinbaren zu können. Bekannt ist aber, dass Heimarbeiter deutlich mehr Überstunden machen als andere.

Wir haben in unserer Studie herausgefunden, dass das für Beschäftigte im klassischen Home-Office nicht so zutrifft. Bei den anderen, die sich nach der Bürozeit abends nochmal an den Rechner setzen, sieht das anders aus. Sie leisten deutlich mehr Überstunden, identifizieren sich aber auch sehr mit ihrer Firma und bewerten das nicht so negativ. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch ins Extreme abrutschen kann und die Balance zwischen Arbeit und Privatleben gefährdet wird. Diese Gefahr der Entgrenzung ist bei dieser Art des Arbeitens schon groß. Beschäftigte, die mehrmals pro Woche nach ihrer regulären Arbeitszeit erreichbar sein müssen, haben eine deutlich geringere Arbeitszufriedenheit.

Wie hoch die Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten im Home-Office?

Man muss auch hier unterscheiden zwischen jenen, die während ihrer Arbeitszeit zu Hause arbeiten und jenen, die es in ihrer Freizeit abends tun. Beschäftigte im Home-Office haben eine deutlich höhere Arbeitszufriedenheit und auch die Führungskraft wird als fairer wahrgenommen. Sie haben überraschenderweise auch nicht die Sorge, dass ihre Leistung im Betrieb nicht wahrgenommen wird. Jene, die in ihrer Freizeit zu Hause arbeiten, sagen ebenfalls, dass sie sehr verbunden mit ihrem Betrieb sind. Aber sie haben gleichzeitig eher Probleme, Beruf und Familie voneinander abzugrenzen.

Können Tarifverträge Beschäftigte vor entgrenzter Arbeit schützen?

Die größte Stellschraube ist der direkte Vorgesetzte. Der lebt vor, inwieweit Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeit oder das Beantworten von E-Mails nach 20 Uhr gewünscht ist. Eine Regelung über Tarifverträge wird schwierig zu finden sein, weil sich die Arbeitgeber mehr Flexibilität wünschen.

Aber das würde ja bedeuten, dass Beschäftigte von den individuellen Vorlieben des Chefs abhängig wären und dann eben Glück oder Pech haben.

Immerhin ein Drittel der von uns befragten Betriebe hat formale Regelungen wie eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten, die auch für Führungskräfte verbindlich regelt, was erlaubt ist und was nicht. Aber auch in Betrieben, wo diese Regelungen nicht bestehen, sind Beschäftigte natürlich nicht der reinen Willkür der Vorgesetzten ausgesetzt.

Wie bewerten Sie die Forderung der Arbeitgeber, nicht mehr eine tägliche, sondern eine wöchentliche Höchstarbeitszeit vorzuschreiben?

Für Beschäftigte, die schon jetzt den Druck verspüren, dass sie immer erreichbar sein müssen, liegt darin durchaus das Risiko, noch mehr in die Falle der Immer-Erreichbarkeit zu tappen. Andererseits gibt es viele, die sagen, für mich ist es perfekt, nachdem ich meine Kinder ins Bett gebracht habe, nochmal um 21 Uhr die Mails abrufen zu können. Für sie kann es auch eine Chance sein, wenn sich da etwas ändert. Der Knackpunkt ist die Ruhezeit, mit der man durch das mobile Arbeiten am Abend schnell in Konflikt kommt. Es muss also darum gehen, Regelungen zwischen dem Wunsch der Arbeitgeber und dem Schutz der Arbeitnehmer auszutarieren.

Welche Vorteile bietet mobiles Arbeiten denn für die Arbeitgeber?

Zum einen kann es Mitarbeiter wegen einer besseren Work-Life-Balance zufriedener machen. Viele Beschäftigte sagen aber auch konkret, sie können sich zu Hause besser konzentrieren und ungestörter arbeiten. Für international agierende Arbeitgeber, die über verschiedene Zeitzonen hinweg arbeiten, ist es eben sehr wichtig, dass ihre Beschäftigten abends oder morgens noch einer Telefonkonferenz teilnehmen können.Das Gespräch führte Claudia Heine.

Stefanie Wolter hat für das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg den Forschungsbericht "Mobiles und entgrenztes Arbeiten" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) verantwortet.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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