Wie konnte ein Bauernsohn, ein einfacher Traktorist aus der russischen Provinz, Staatschef einer Supermacht werden und später als einer der größten Reformer in die Geschichte eingehen? Michail Gorbatschow beendete nicht nur den Kalten Krieg, sondern löste die totalitären Strukturen der Sowjetunion auf. Das ist und bleibt sein Verdienst. Wusste er vorab, welche Konsequenzen seine Politik haben würde? Dass die Zweifel eines Kreml-Herrschers am "Kasernen-Sozialismus" den Zerfall der einstigen Supermacht nach sich ziehen würden? Wieso sah er nicht kommen, dass sein Zögling Boris Jelzin ihn aus dem Amt des sowjetischen Präsidenten jagen würde? Auf diese und viele weitere Fragen zu Gorbatschow als Mensch und Politiker sowie seiner Innen- und Außenpolitik findet der Leser detaillierte Antworten in der herausragenden Biografie des US-amerikanischen Historikers William Taubman.
Taubman hat bereits ähnliche Herausforderungen grandios gemeistert: Aus seiner Feder stammt die Biografie des gescheiterten sowjetischen Reformers Nikita Chruschtschow, die sogar in Russland veröffentlicht wurde. Für dieses Meisterwerk erhielt er 2004 den renommierten Pulitzer-Preis. Für Chruschtschows Reformen, hierzulande als "Tauwetter-Politik bekannt, war die Zeit noch nicht reif: Seine Gegner setzten ihn ab und bestraften ihn für den Rest seines Lebens mit Hausarrest.
Wie Chruschtschow entstammte auch Gorbatschow den Machtzirkeln des Kremls. Die Generalsekretäre Breschnew und Andropow hatten ihn als treuen und idealistischen Kommunisten gefördert und ihm zu höchsten Ämtern verholfen. Am Ende sorgte Gorbatschow für einen friedlichen Machtwechsel. Dass der Visionär Gorbatschow seine Ziele nicht erreichte, sollte man nicht mit einem Scheitern gleichsetzen, meint Taubman. Durch die Einführung freier Wahlen, die Schaffung parlamentarischer Institutionen sowie die Rede- und Versammlungsfreiheit legte der Staatsmann die Grundlagen für eine demokratische Entwicklung Russlands.
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