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Kampf gegen Armut : Ideen gibt es genug

Mehr Arbeit oder höhere Sozialleistungen? Streit über den richtigen Weg

23.04.2018
2023-08-30T12:34:27.7200Z
4 Min

Fast 200.000 Menschen haben die Petition inzwischen unterzeichnet, in der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aufgefordert wird, einen Monat lang von Hartz IV zu leben. Gestartet hatte sie eine alleinerziehende Mutter, nachdem der frisch gekürte Gesundheitsminister mit der Aussage, dass Hartz IV nicht Armut bedeute und jeder damit habe, was er zum Leben braucht, an die Öffentlichkeit gegangen war. Fast zeitgleich sorgte die Essener Tafel durch ihren kurzzeitigen Aufnahmestopp für Ausländer für Aufregung. Seitdem ebbt die Diskussion darüber, was Armut im Zeichen eines anhaltenden Wirtschaftsbooms bedeutet, nicht ab. Und mit dieser Debatte ist auch das System der Grundsicherung für Arbeitslose, das sogenannte Arbeitslosengeld II, besser bekannt als "Hartz IV", wieder in den Fokus gerückt.

Sanktionsfreie Mindestsicherung Die Linke fordert schon seit Jahren dessen Abschaffung. In ihrem aktuellen Antrag (19/1687), der vergangene Woche in erster Lesung vom Bundestag beraten wurde, geht sie jedoch darüber hinaus. Sie verlangt einen umfassenden Maßnahmeplan zur Armutsbekämpfung. Dazu gehört: eine Anhebung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro, eine "sanktionsfreie Mindestsicherung" von monatlich 1.050 Euro, eine Zurückdrängung prekärer Beschäftigung, eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes auf 328 Euro pro Kind und eine Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent.

Zwar formuliert Die Linke in dem Antrag nicht plakativ, "Hartz IV muss weg". Aber die sanktionsfreie Mindestsicherung würde de facto darauf hinauslaufen. Kein Wunder also, dass in der Debatte die Frage "Hartz IV, ja oder nein?" im Mittelpunkt stand.

Die Unionsfraktion lehnte eine Systemumkehr grundsätzlich ab: "Was dahinter steckt, ist eine Entkoppelung der Existenzsicherung vom Arbeitsmarkt. Letztlich bedarf es überhaupt keiner Bereitschaft mehr, einer zumutbaren Arbeit nachzugehen", befürchtete Stephan Stracke (CDU). Ziel müsse immer eine Integration in den Arbeitsmarkt sein und keine Daueralimentierung. Diese Strategie sei auch in den vergangenen Jahren gut aufgegangen, weshalb "wir als Union beim Kampf gegen Armut sehr erfolgreich sind", resümierte Stracke. Gleichwohl gebe es "sehr arbeitsferne" Menschen, die durch das Bundesprogramm "Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt" gefördert werden sollen, sagte er.

Die FDP-Fraktion warf den Linken vor, mit dem "bedingungslosen Grundeinkommen" die Menschen "einfach nur ruhig stellen" zu wollen, obwohl dies in dem Antrag gar nicht gefordert wurde. Deutlicher als die Union diagnostizierte die FDP dennoch einen "sozialpolitischen Handlungsbedarf" und forderte Änderungen im System der Grundsicherung. So müssten endlich die Zuverdienstgrenzen erhöht werden und mehr Geld in die Betreuung der Arbeitslosen anstatt in die Verwaltung der Jobcenter gesteckt werden. Arbeitslose bräuchten endlich mehr Chancen auf Qualifizierung im ersten Arbeitsmarkt, betonte Pascal Kober (FDP).

Die Wohlstandsvernichter Die AfD ging auf solche Details nicht ein, sondern spannte den Bogen über die Grenzen Deutschlands hinaus: "Reden wir mal Klartext: Der Hauptgrund für die zunehmende Armut in Deutschland ist die EU", stellte Martin Sichert (AfD) fest. Die Bundesregierung sei der "verlängerte Arm von Brüssel" und wenn sie aufhöre, "Menschen aus der ganzen Welt unsere Sozialleistungen zu gewähren", dann könnte auch die Armut hierzulande wirksam bekämpft werden, so Sichert. Er forderte unter anderem ein Ende der Nullzinspolitik und ein Ende des Euro, da beides jährlich Milliarden an Wohlstand vernichte.

"Als ob die arme Rentnerin nur einen Cent mehr in der Tasche hätte, wenn Geflüchtete in Kriegsgebiete abgeschoben werden. Tatsache ist doch: Wir hatten schon viel zu niedrige Löhne und viel zu niedrige Renten, bevor die Geflüchteten gekommen sind", betonte dagegen die Chefin der Linkspartei, Katja Kipping. Aber eine Gesellschaft, in der alle Menschen garantiert vor Armut geschützt sind, sei machbar. "Wir müssten nur den Mumm haben, Millionenerbschaften und Gewinne aus Finanzspekulationen stärker zu besteuern sagte Kipping.

Mit der Forderung nach einer solchen Umverteilung steht Die Linke jedoch ziemlich allein. So warf Daniela Kolbe (SPD) der Linken eine zu holzschnittartige Analyse vor. Man dürfe nicht so tun, als müsse man nur genug Geld in die Hand nehmen und dann sei das Problem gelöst. Dennoch räumte Kolbe Nachbesserungsbedarf bei der Grundsicherung ein, wie zum Beispiel beim Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder oder bei der Grundsicherung im Alter, die die SPD um eine Grundrente ergänzen will. Ja, vielleicht müsse man auch mit einigen Prinzipien von Hartz IV brechen, diese Debatte werde die SPD noch führen, kündigte Kolbe an.

Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, höhere Regelsätze und die Abschaffung von Sanktionen, die auch die Grünen befürworten, reichten nicht aus. Die Grundsicherung müsse vereinfacht und barrierefreier werden, Arbeitslose bräuchten mehr Rechte für eine "Vermittlung auf Augenhöhe" und ein sozialer Arbeitsmarkt sei nötig. Er plädierte dafür, für einzelne Gruppen Leistungen ohne Bedürftigkeitsprüfung einzuführen, wie zum Beispiel eine Garantierente oder die Kindergrundsicherung.