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Grundsicherung : »Wir brauchen ein ALG-II-Plus«

Markus Promberger plädiert für Reformen bei Hartz IV und Arbeitslosenversicherung

23.04.2018
2023-08-30T12:34:27.7200Z
3 Min

Seit Gesundheitsminister Jens Spahn erklärt hat, Hartz IV bedeute nicht Armut, ebbt die Debatte darüber nicht ab. Wie definieren Sie Armut?

Wer weniger als 60 Prozent des mittleren pro-Kopf-Einkommens zur Verfügung hat, ist armutsgefährdet. Wer keinen nach gesellschaftlichen Maßstäben angemessenen Lebensunterhalt erwirtschaften kann, ist arm. Definitiv und nach der deutschen Gesetzeslage arm ist derjenige, dessen Einkommen geringer ist als die Grundsicherungsleistung und der kein hinreichendes Vermögen hat. Hartz IV bedeutet also Armut - aber eben bekämpfte Armut.

Wie könnte ein Programm zur Armutsbekämpfung aussehen? An fehlenden Arbeitsplätzen kann es momentan nicht liegen, dass zirka 15 Prozent der Menschen armutsgefährdet sind.

Der Arbeitsmarkt ist gut, doch es fehlt an geeigneten Arbeitsplätzen für Geringqualifizierte und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Und von manchen Jobs kann man nicht auskömmlich leben. Wir brauchen starke Bildungsangebote, müssen aber im Vorfeld auch die Voraussetzungen für Bildung und Ausbildung verbessern. Wir brauchen vernünftige Formen von geförderter Beschäftigung, dort, wo der Markt selbst keine Jobangebote schafft. Wir brauchen eine gute soziale Infrastruktur wie günstigen Wohnraum, öffentlichen Nahverkehr, Volkshochschulen und Bibliotheken, kommunale Schwimmbäder, Tafeln, Gebrauchtwarenhäuser, ein zugängliches und leistungsfähiges Gesundheitssystem. All das macht das Leben von Menschen mit wenig Geld leichter.

Die Linke fordert in einem aktuellen Antrag, den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen. Wie effektiv wäre dies?

Mindestlöhne wirken Armut entgegen - für Menschen in wirklich schlecht bezahlten Jobs. Bevor man den Mindestlohn so stark erhöht, sollte man jedoch gründlich prüfen, wie groß kontraproduktive Effekte auf das Stellenangebot werden.

Sollte das Hartz-IV-System tatsächlich abgeschafft werden, wie es einige in der Debatte auch schon gefordert haben?

Das macht keinen Sinn. Wenn man Hartz IV abschafft, muss man sofort ein ähnliches System wieder einführen. Auch die alte Sozialhilfe war alles andere als ein Paradies. Und verglichen etwa mit manchen europäischen Mittelmeerländern ist Hartz IV, trotz aller Probleme im Detail, ein funktionierendes System.

Aber Korrekturbedarf bestreitet doch kaum noch jemand.

Die Regelsätze für Kinder sollten definitiv erhöht werden. Aber es gibt weiteren Reformbedarf: So bestraft zum Beispiel der ungünstige Anrechnungsmodus bei Zuverdienst die wirtschaftliche Aktivität von Leistungsbeziehern.

Auch über eine Reform der Arbeitslosenversicherung wird stetig diskutiert.

Zu Recht. Der Zugang ist vergleichsweise restriktiv. Für Personen mit Kurzzeitverträgen und häufigen Erwerbsunterbrechungen bleibt unter Umständen nur der Zugang zu Hartz IV. Ein Hauptproblem liegt am Übergang aus der Arbeitslosenversicherung in die Grundsicherung. Selbst wenn man 20 Jahre Beiträge bezahlt hat, kann man schon nach zwölf Monaten Arbeitslosigkeit in Hartz IV abrutschen. Ich persönlich meine, wir sollten die Bezugsdauer des ALG I auch für unter 50-Jährige ausdehnen, ab dem 13. Monat begänne ein längerer Übergangszeitraum mit abnehmender Bezugshöhe. Anschließend daran träte eine stabile Grundsicherungsleistung in Kraft, die klar über dem Hartz IV-Regelsatz läge. Gewissermaßen ein ALG II Plus für diejenigen, die bereits erwerbstätig waren.

Das Interview führte Claudia Heine.

Professor Markus Promberger leitet den Forschungsbereich "Erwerbslosigkeit und Teilhabe" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).