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IRAN : Diplomatische Zeitbombe

Mit der US-Aufkündigung des Atomabkommens wächst die Sorge vor einem Wettrüsten im Nahen Osten

11.06.2018
2023-08-30T12:34:29.7200Z
4 Min

Dem US-Präsidenten wird häufiger der Vorwurf gemacht, er betreibe eine Politik des Spaltens. Doch mit Blick auf das vor drei Jahren geschlossene Abkommen mit dem Iran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA), das das Land von atomaren Aufrüstung abhalten soll, zeigte sich vergangenen Freitag im Bundestag fast so etwas wie Geschlossenheit in der Kritik an der Entscheidung Donald Trumps, sich für die US-Seite einseitig aus dem Vertragswerk zurückzuziehen. Anlass der Debatte waren zwei Anträge der FDP und der Linken, die beide in die Ausschüsse überwiesen wurden und deren gemeinsamer Konsens sich mit einer einfachen Formel skizzieren ließe: Das bestehende Abkommen ist besser als gar kein Abkommen. Doch es zeigen sich auch große Differenzen. Während die Linksfraktion die Bundesregierung auffordert "Druck auf US-Präsident Donald Trump auszuüben, sich an geltende völkerrechtliche Verträge zu halten", schlagen die Liberalen ein erweitertes Atomabkommen vor mit längeren Laufzeiten und weitreichendere Inspektionen der Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA), ergänzt um die "Begrenzung und Kontrolle des ballistischen Raketenprogramms des Iran". Denn: Das Land nehme unbestritten eine destabilisierende Rolle in der Region ein. Es spiele eine aktive Rolle als Akteur in den Konflikten in Syrien und im Jemen. Gleichzeitig treibe die iranische Führung aktiv das eigene Raketenprogramm voran. "Die Nachbarstaaten des Iran und die internationale Gemeinschaft beobachten diese Entwicklung mit äußerster Sorge. Insbesondere die israelfeindliche Politik des Iran verurteilt Deutschland mit Nachdruck", argumentieren die Liberalen.

Sevim Dagdelen (Die Linke) bezeichnete die Aufkündigung der USA als "gefährlichen Bruch des Völkerrechts", der die ganze Nahostregion zu destabilisieren drohe. Dahinter stehe die gleiche "Regime-Change-Politik", die mit der Lüge der Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins in den Irakkrieg geführt habe. Wenn die Bundesregierung der US-Seite nicht ein "klares, eindeutiges Stoppzeichen" setze, sei sie am Ende mitverantwortlich für einen neuen Krieg im Nahen Osten. Dagdelen warnte zudem vor drohenden US-Sanktionen gegen Unternehmen, die im Iran aktiv sind: Die Bundesregierung unternehme hier wenig Konkretes, um für diese einen Schutzschirm zu installieren.

Markus Koob (CDU) betonte, dass die IAEA bisher stets bestätigen konnte, dass sich der Iran an das Abkommen hält, es also keine Versuche gebe, waffenfähiges Plutonium herzustellen. Bei allen Defiziten, etwa mit Blick auf das iranische Raketenprogramm, könne das Abkommen ein nukleares Gefährdungspotential im Nahen Osten einhegen: "ein echtes diplomatisches Erfolgsergebnis". Koob formulierte aber auch ein Unbehagen mit dem Abkommen und erinnerte an die "Serie unerträglicher Provokationen" und die Hassreden iranischer Führer Richtung Israel. "Israels Existenzrecht und Sicherheit sind für uns nicht verhandelbar."

Anton Friesen (AfD) argumentierte, dass die Aufkündigung des Abkommens keinen Beitrag dazu leiste, die Bedrohung Israels zu beseitigen. Nunmehr sei das Reformlager im Iran geschwächt, die Hardliner dort könnten sich ins Fäustchen lachen "und deutsche Unternehmen zahlen die Zeche, gerade die mittleren und kleinen, die sich keine Rechtsabteilungen leisten können". Wie auch die Linksfraktion forderte Friesen die Bundesregierung zu einer diplomatischen Initiative für eine "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten" auf.

Karl-Heinz Brunner (SPD) sagte, dass das Abkommen eine "Tür" für weitere Abrüstung und Verifikation in der Region geöffnet habe. Der US-Präsident signalisiere nun, dass solche Verträge nicht mehr gelten sollen. Ohne das Zusammenstehen der Europäer und ihr klares Signal, am Vertragswerk festzuhalten, drohten Erosionen mit unabsehbaren Folgen: "Was würde geschehen, wenn wir einfach Verträge einseitig beenden? Wer würde ernsthaft noch Vereinbarungen schließen, die über Regierungswechsel und Wahlen hinaus Gültigkeit haben sollen?"

Marcus Faber (FDP) argumentierte, dass man die Bedenken in Israel gegen das Abkommen gut nachvollziehen könne, es unter dem Strich jedoch ein Erfolg für den Schutz Israels und gegen ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten gewesen sei. Der Rückzug der USA stelle dies infrage. Faber plädierte für neue Verhandlungen, die insbesondere auch das ballistische Raketenprogramm des Irans in den Blick nehmen sollten. Es müsse darum gehen, weiter die Verständigung zu suchen. Die restlichen Vertragsparteien, also China, Russland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie die EU brächten dafür ein eigenes Gewicht mit.

Omid Nouripour (Grüne) verwies darauf, wie aggressiv der Iran in Syrien, im Libanon und im Irak agiere und mit welcher Vehemenz iranische Führer das Existenzrecht Israels infrage stellen würden. All dies ändere aber nichts an der Gleichung: "Ein Iran ohne Atomwaffen ist besser als ein Iran mit Atomwaffen." Trump habe gegen eine Vielzahl von Stimmen in der eigenen Administration, in den israelischen Sicherheitsstrukturen und vor allem gegen die europäischen Partner entschieden. "Das ist ein Vorgang, den wir nicht akzeptieren können." Die EU müsse nun zusammenhalten um die Proliferationsspirale und ein atomares Wettrüsten in unmittelbarer Nachbarschaft zu verhindern.

Die fraktionslose Abgeordnete Frauke Petry zeigte indes Verständnis für Trump. Er habe sich auch deshalb über sämtliche Bedenken hinwegsetzen können, weil sein Vorgänger Barack Obama den Vertrag einst "rücksichtslos am US-Kongress vorbei" auf den Weg gebracht habe. Trump stelle die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße, denn eine Mehrheit im Kongress habe das Abkommen nie gewollt. Petry monierte außerdem die langen Ankündigungsfristen für Kontrollbesuche der IAEA im Iran. Das sei, wie der israelische Premier Benjamin Netanjahu richtigerweise angemerkt habe, in etwa so, als kündigte die Drogenpolizei ihre Razzien an. Die geopolitische Wahrheit sei: "Wir können nicht so leicht gleichzeitig der Freund Israels und der Freund des Irans sein."