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handelsstreit : In der Wagenburg

Die USA und die EU überziehen sich mit Vorwürfen. Im Streit um Zölle auf Stahl und Aluminium verhärten sich die Fronten

02.07.2018
2023-08-30T12:34:31.7200Z
5 Min

Bei Stahl und Aluminium gab sich der US-Präsident hart. Zölle zwischen 8 und 30 Prozent sollten die Hütten in Ohio und Pennsylvania vor Billigimporten aus dem Ausland schützen. Das schien zunächst zu funktionieren. Die Exportstatistik der Wirtschaftsvereinigung Stahl verzeichnete einen Rückgang deutscher Stahlexporte in die USA um mehr als ein Drittel. Doch nach nur 20 Monaten schmolz die Handelsbarriere im Dezember 2003 dahin. Der US-Präsident, der damals George W. Bush hieß, wurde von amerikanischen Wirtschaftsvertretern gezwungen, die Stahl-Strafzölle wieder zurückzunehmen.

Denn Industriezweige wie die US-amerikanischen Autohersteller und die Brauereien litten massiv unter zollbedingt steigenden Produktionskosten. Sie reagierten darauf mit Sparprogrammen, was die volkswirtschaftliche Bilanz der US-Strafzölle tief in den roten Bereich drückte: Mehr als 200.000 amerikanische Arbeitsplätze gingen verloren, während sich lediglich etwa 190.000 Stahlarbeiter unter dem Schutzschirm duckten. Die US-Stahlkocher investierten weniger als nötig in ihre Wettbewerbsfähigkeit; so vergrößerte sich ihr Rückstand auf die Technologieführenden. Und die Verbraucher mussten für viele Produkte mehr bezahlen.

George W. Bush und sein Scheitern beim Thema Strafzölle gilt als Menetekel für den weltweiten Freihandel. Doch die Erinnerung ist ein verblassendes Gut. Nun versucht es US-Präsident Donald Trump mit Strafzöllen. Er belegt Stahl mit einem Aufschlag von 25 Prozent, Aluminium mit 10 Prozent. Die EU revanchiert sich mit der Ankündigung, für US-amerikanische Motorräder, Jeans, Whiskey, Tabakprodukte und Erdnussbutter eine Zollabgabe von jeweils 25 Prozent zu verlangen.

Wirtschaft warnt Das treibt die Wirtschaft um. Dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, zufolge könnten die US-Schutzzölle das Wachstum der deutschen Wirtschaft um ein Viertelprozent senken. Bislang ging der BDI von einem Wachstum von 2,25 Prozent für 2018 aus. Sollte der Streit zu einem Handelskrieg eskalieren, sieht Kempf das Investorenvertrauen weltweit erschüttert. Rückläufige Investitionen würden den Rückgang des Welthandels verstärken.

Der Präsident des Automobilverbands, Bernhard Mattes, warnt ebenfalls vor Abschottung und Protektionismus. Gleichzeitig beruhigt er: Deutsche Autos würden bereits heute in den USA nicht in erster Linie über niedrige Preise verkauft. Den deutschen Autobauern werde das US-Geschäft nicht komplett wegbrechen.

Für Hans Gersbach hingegen klingt das wie das Pfeifen im dunklen Keller. Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium rechnet mit einer Verringerung des Bruttoinlandsprodukts um bis zu 0,2 Prozent - falls Trump Ernst macht. Der nimmt sich nun tatsächlich Deutschland zur Brust. Das Land sei ein "economic enemy". Im Austausch mit den USA habe es selbstgefällig hohe Handelsbilanzüberschüsse aufgehäuft und nehme selbst viel höhere Zölle auf US-Produkte. Damit sei nun Schluss. Hat Trump Recht?

Über die Antwort entscheidet der Blickwinkel. Bei der Beurteilung von Ungleichgewichten in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Deutschland kommt es stark darauf an, welche Bilanz man betrachtet. Darauf hat der Handelsexperte des Münchener ifo-Instituts, Gabriel Felbermayr, hingewiesen. In den Kategorien der "Old Economy" hat Donald Trump Recht. Im Jahr 2017 exportierte die deutsche Wirtschaft Waren im Wert von 112 Milliarden Euro in die USA, das einen Anteil von knapp zehn Prozent aller deutschen Waren aufnahm und damit ein wichtiges Exportland war. Die USA verkauften Waren im Wert von 61 Milliarden Euro nach Deutschland. Das ergibt einen Handelsbilanzüberschuss in Deutschland von mehr als 50 Milliarden Euro.

Halbe Wahrheiten Felbermayr wirft Trump jedoch eine "verzerrte Wahrnehmung" vor. "Er spricht nur von dem US-Defizit bei den Waren, verschweigt aber, dass die USA bei Dienstleistungen und Unternehmensgewinnen einen massiven Überschuss gegenüber der EU erwirtschaften", sagt Felbermayr. Unter dem Strich der weiter gefassten Leistungsbilanz stehe ein Plus von aktuell 14 Milliarden US-Dollar für die USA; dies sei im Übrigen kein statistischer Ausreißer, sondern ein konstanter Überschuss seit dem Jahr 2008. Die USA habe Wettbewerbsvorteile in der "New Economy", vor allem bei digitalen Dienstleistungen: Apple, Amazon, Facebook, Google und Co. lassen grüßen.

Auch in Bezug auf den Austausch mit Deutschland mahnt Felbermayr eine andere Perspektive an. Zwar weise das US-Handelsministerium für das Verhältnis gegenüber Deutschland ein Leistungsbilanzdefizit von 65 Millionen Euro aus. "Doch ist es falsch, einzelne Mitgliedstaaten der EU herauszupicken." Die EU sei eine Zoll- und Wirtschaftsunion, in der die Mitglieder eng miteinander verflochten seien. So bedienten US-amerikanische Internetriesen aus steuerlichen Gründen den deutschen Markt über Niederlassungen in den Niederlanden oder Irland. Deshalb müsse die EU als Ganzes betrachtet werden.

Eine weitere Polemik Trumps gegen Deutschland läuft nach Meinung von Experten ebenfalls ins Leere. Der Präsident hatte sich in einem seiner Posts darüber beschwert, dass die Deutschen im Durchschnitt höhere Zölle erhöben als die USA. Auf das schmale Brett mag ihm der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Rolf J. Langhammer, nicht folgen. Er verweist darauf, dass die heute gelten Zölle in Struktur und Höhe bei den Welthandelsgesprächen der Uruguay-Runde (1986 bis 1994) Jahre einvernehmlich ausgehandelt wurden. Bei den Industriegütern liegt das Gefälle nach den Zahlen der Welthandelsorganisation WTO bei 3,2 Prozent auf der US-Seite gegenüber 4,2 Prozent bei der EU: "Gewichtet mit den Importwerten sind die Zollunterschiede noch geringer: 2,3 Prozent in den USA zu 2,6 Prozent in Europa."

Laut Langhammer verdecken solche Durchschnittsbetrachtungen, dass sich beide Seiten seit Jahren ihren Alltagsprotektionismus gönnen. So erhebe die EU auf Agrarprodukte im Durchschnitt mit 11,1 Prozent mehr als doppelt so hohe Zölle wie der starke Agrarexporteur USA (5,2 Prozent). Die USA ihrerseits verlangen bei Milchprodukten 20 Prozent, bei Kleinlastwagen 25 Prozent, bei Babynahrung 23 Prozent.

Die jetzt als europäische Antwort auf Trumps stählernen Zollschutzschirm verhängten europäischen Strafzölle werden aus Langhammers Sicht den Handel nur wenig beeinflussen. Es handele sich um nicht-standardisierte Produkte, bei denen nicht nur der Preis über einen Kauf entscheide. Reputation, Service, Kundenvorlieben gehörten mindestens ebenso zum Kalkül. Die Anbieter könnten die zollbedingten Preissteigerungen daher an die Käufer weitergeben. Der Absatz werde zurückgehen, aber nicht einbrechen.

»Old School« Plötzlich und für manchen unerwartet erlebt sogar das an Intransparenz gescheiterte transatlantische Handelsabkommen, TTIP eine Renaissance. Denn bei diesem Freihandelsabkommen geht es nicht in erster Linie um Zölle, für die (noch) enge WTO-Regeln gelten. Vielmehr stehen eine Reihe von politisch erkämpften Arbeitsschutz-, Verbraucher- und Umweltschutzrechten auf dem Prüfstand, so genannte "nichttarifäre Handelshemmnisse".

Seit der Weltwirtschaftskrise 2008/09 haben vor allem die USA dazu gegriffen, um unliebsame Konkurrenz fernzuhalten. In einer Studie zu verdecktem Protektionismus zählten Erdal Yalcin und andere vom Kieler Institut für Weltwirtschaft in den USA 800 neu aufgestellte Handelshemmnisse. Keine andere Nation setze so viele Blocker ein. Indien und Russland brachten es demnach auf 200 bis 300 Maßnahmen. Größere europäische Wirtschaftsnationen wie Deutschland müssen sich 80 bis 100 Handelshemmnisse zurechnen lassen. Laut der Studie reduzierten non-tarifäre Handelshemmnisse den weltweiten Warenaustausch um 12 Prozent. Dass Trump nun wieder Zölle in den Mittelpunkt stellt, ist für Wirtschaftsexperten schlicht "Old School".

Der Autor ist freier Journalist in Düsseldorf.