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steuern : Juristische Fundamentalkritik gegen den »Soli«

Ex-Verfassungsgerichtspräsident Papier sieht keine Rechtfertigung für den Zuschlag nach dem Jahr 2019

02.07.2018
2023-08-30T12:34:31.7200Z
3 Min

Steuern haben in Deutschland ein langes Leben. Die kaiserliche Kriegsmarine ist längst versunken, aber die zu ihrer Finanzierung eingeführte Sektsteuer gibt es bis heute. Auch die deutsche Einheit ist inzwischen seit über einem Vierteljahrhundert hergestellt, aber das zu ihrer Finanzierung 1995 verabschiedete Solidaritätszuschlagsgesetz existiert immer noch, und der "Soli" spült kräftig Geld in die Bundeskasse: Knapp 18 Milliarden Euro waren es im vergangenen Jahr.

Die Zeit ist reif Für zwei Oppositionsfraktionen ist daher an die Zeit reif, sich vom "Soli" zu verabschieden. Während sich die Koalition an der sprudelnden Steuerquelle noch etwas länger erfreuen und ihn ab 2020 schrittweise abbauen will - zunächst nur für die Bezieher von Durchschnittseinkommen. In einem öffentlichen Fachgespräch des Finanzausschusses in der vergangenen Woche erfuhren die AfD und die FDP für ihre Forderung nach Abschaffung des Zuschlags massiven Zuspruch mit höchster juristischer Kompetenz: Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, erklärte, der Solidaritätszuschlags sei mit dem Ende des Solidarpakts II verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen.

Grundlage des Fachgesprächs war ein Antrag der AfD (19/1179) für die "sofortige und uneingeschränkte" Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Begründet wird dies mit der Verfassungswidrigkeit des Zuschlags. Der vor 23 Jahren angegebene Zweck der Sicherung des einigungsbedingten Mittelbedarfs des Bundes sei inzwischen weggefallen. Daher sei die Verfassungsmäßigkeit nicht mehr gegeben, weil der Ausnahmecharakter der Ergänzungsabgabe eine dauerhafte und immerwährende Erhebung dieser Steuer verbiete. Auch die FDP-Fraktion will den Solidaritätszuschlag mit einem Gesetzentwurf (19/1038) aufheben lassen. Zur Begründung schreibt die Fraktion, den Bürgern sei bei Einführung des Solidaritätszuschlages versprochen worden, dieser werde nur befristet erhoben. Das unbefristete Solidaritätszuschlaggesetz sei 1995 mit der Begründung erlassen worden, dieses "finanzielle Opfer" sei zur Finanzierung der Vollendung der Einheit unausweichlich. Mittelfristig sei eine Überprüfung zugesagt worden. "Der zur Vollendung der deutschen Einheit aufgelegte Solidarpakt II läuft 2019 aus, so dass auch die Legitimation des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 spätestens zu diesem Zeitpunkt wegfällt", begründet die FDP-Fraktion ihren Vorstoß. Einen Fortbestand des Solidaritätszuschlags hält die Fraktion für einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Papier stützte diese Auffassung: Aus Gründen der rechtsstaatlich gebotenen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sollte der Gesetzgeber selbst den Eintritt eines verfassungswidrigen Zustands vermeiden und das Gesetz mit Wirkung zum 1. Januar 2020 aufheben." Die finanzpolitische und finanzverfassungsrechtliche Sonderlage einer besonderen Aufbauhilfe zugunsten der neuen Länder könne als eindeutig beendet betrachtet werden. Papier erteilte auch den Plänen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD eine Absage, den Zuschlag allmählich abzuschmelzen: "Auf jeden Fall stellt es keine verfassungsrechtlich zulässige Übergangsregelung dar, sollte der Solidaritätszuschlag zum 1.1.2020 nur für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entfallen, im Übrigen aber noch weitere Jahre in vollem Umfang erhoben werden." Auf Nachfragen erklärte der frühere Verfassungsgerichtspräsident, beim Festhalten am Solidaritätszuschlag sehe er die "Gefahr eines Verlustes von Vertrauen in den Rechts- und Verfassungsstaat". Die Leute würden den Eindruck bekommen, die Politik mache, was sie wolle und würde die Bürger unfair behandeln.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Bund der Steuerzahler argumentierten ähnlich wie Papier. Der Steuerberater Cornelius Volker erklärte, die Historie, die verfassungsrechtliche Problematik und die ökonomischen Voraussetzungen "sprechen ausnahmslos für die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags". Katja Rietzler (Hans-Böckler-Stiftung) lehnte die Abschaffung des Zuschlags aus verteilungspolitischer Sicht ab. Außerdem sei die Abschaffung aus fiskalischer Sicht nicht zu verantworten.