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KONTROLLGREMIUM : Behördenprofis statt »Schlapphutträger»

Chefs der Nachrichtendienste stehen Parlamentariern in öffentlicher Anhörung Rede und Antwort

26.11.2018
2023-08-30T12:34:38.7200Z
4 Min

Eigentlich arbeiten Geheimdienste, wie schon ihr Name sagt, geheim, also im Verborgenen. Das gilt normalerweise auch für die Nachrichtendienste des Bundes, also den Bundesnachrichtendienst (BND) sowie die Bundesämter für Verfassungsschutz (BfV) und für den militärischen Abschirmdienst (MAD). Einmal im Jahr freilich herrscht diesbezüglich Ausnahmezustand: Dann stehen die Präsidenten der drei Dienste dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages in einer öffentlichen Anhörung Rede und Antwort.

Kein Schlapphut In diesem November war es wieder so weit, nach der Premiere im vergangenen Jahr "erst zum zweiten Mal überhaupt in der Geschichte des Deutschen Bundestages", wie der PKGr-Vorsitzende Armin Schuster (CDU) hervorhob. Festgeschrieben hatte der Bundestag die jährliche Veranstaltung im 2016 verabschiedeten Gesetz "zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes". Ziel ist es Schuster zufolge, "ein bisschen zur Entmystifizierung" beizutragen und zu zeigen, dass die Präsidenten der drei Dienste "keine Schlapphutträger sind", sondern "ganz normale Behördenprofis".

Für einen davon war es in diesem Jahr eine Premiere: Erst einen Tag zuvor war der neue BfV-Präsident Thomas Haldenwang in sein Amt eingeführt worden, nachdem sein Vorgänger Hans-Georg Maaßen in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde. Mehr als fünf Jahre war Haldenwang dessen Stellvertreter; jetzt ließ er schon in seinem Eingangsstatement eigene Akzente erkennen, als er die Ausschreitungen in Chemnitz Ende August als Beispiel nannte, wie die sozialen Medien für Meinungsmache und Manipulation genutzt werden können. Hatte Maaßen im September noch öffentlich die Authentizität eines von "Antifa-Zeckenbiss" im Internet mit der Überschrift "Menschenjagd in Chemnitz" verbreiteten Videos im Zweifel gezogen, verwies Haldenwang nun auf Behauptungen, der in Chemnitz getötete Mann habe eine Frau vor sexuellen Übergriffen von Migranten schützen wollen. Belege für diese Darstellung gebe es "nach wie vor keine", doch habe sie "die ganze Emotion losgetreten" und sei Ausgangspunkt für die weiteren Entwicklungen in der Stadt gewesen.

Überhaupt spielen die sozialen Medien für die Entwicklung des Extremismus laut Haldenwang in allen Bereichen eine besondere Rolle, können sie doch "sowohl als Aufputschmittel als auch als Tatort fungieren". Auch die Linksextremisten steigerten durch soziale Netzwerke und digitale Plattformen ihre Organisations- und Kampagnenfähigkeit, gleiches lasse sich über den Ausländerextremismus sagen, resümierte Haldenwang. Als größte Gefahr für die Sicherheit in Deutschland bewertete er dabei - wie schon Maaßen bei der Anhörung im Vorjahr - den islamistischen Terrorismus. Zugleich warnte er vor einer anhaltend hohen Gewaltbereitschaft im Rechtsextremismus und versicherte, "die mögliche Herausbildung rechtsterroristischer Strukturen fest auf dem Radar" zu behalten.

Für BND-Präsident Bruno Kahl ist die "im In- wie im Ausland zunehmenden Attraktivität autoritär-populistischer Politikstile". eine Herausforderung für alle drei Nachrichtendienste des Bundes. Man beobachte Versuche autoritärer Staaten, "westliche, offene Gesellschaften und Marktwirtschaften mit illegitimen Instrumenten zu beeinflussen". Die ideologische Konfrontation verlaufe heute zwischen Demokratien einerseits und "aufstrebenden, autoritären Gesellschaftsmodellen andererseits". Auch diesen Systemkonflikt habe der BND im Blick, um den freiheitlichen Rechtsstaat zu schützen, unterstrich Kahl.

Dabei sah er einen strategischen Vorteil der Nachrichtendienste des Bundes "gegenüber Geheimdiensten in solchen Autokratien ohne parlamentarische Kontrolle". Die öffentliche und offene Meinungsbildung nämlich sei Voraussetzung dafür, dass die Sicherheitsbehörden "ein nachhaltiges Mandat der Gesellschaft bekommen", um drohende Gefahren aufzuklären und abzuwehren. Nur damit könne den Risiken "im gesellschaftlichen Schulterschluss" entgegengewirkt werden: "Wir brauchen Vertrauen im Inland, um im Ausland vertraulich agieren zu können", sagte der Präsident des deutschen Auslandsnachrichtendienstes und fügte hinzu: "Wir verdienen Vertrauen, müssen uns dieses Vertrauen aber auch verdienen."

Mehr Rechtsextreme "Deutlich mehr" mit Personen aus dem rechts- als aus dem linksextremistischen Spektrum hat es der Militärische Abschirmdienst zu tun, wie MAD-Präsident Christof Gramm ausführte. Nach seinen Worten schaltet sich der MAD immer dann ein, wenn Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen von Bundeswehr-Angehörigen vorliegen. Dabei spiele der Linksextremismus innerhalb der Bundeswehr "eine zu vernachlässigende Rolle". Anders sehe das bei Islamismus und Ausländerextremismus aus. Hier hätten sich die Fallzahlen nach deutlichem Anstieg in den zurückliegenden Jahren nun stabilisiert, ohne dass sich eine Entspannung abzeichne.

Gramm verwies darauf, dass die "Ausweitung gesellschaftlicher Vielfalt" auch extremistische Bereichen nicht ausnehme. Noch vor einigen Jahren sei die Identifizierung etwa von Rechtsextremisten vergleichsweise einfach gewesen, während es heute deutlich schwieriger sei, eine klare "Trennlinie zwischen meinungsstark und extremistisch" zu ziehen. Auch beim Islamismus sei die klare Grenzziehung "nicht immer einfach". Gramm zufolge liegt die Zahl der Extremisten in der Bundeswehr im langjährigen Mittel seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 "im oberen einstelligen Bereich". Politisch motivierte Gewaltbereitschaft spiele in der Bundeswehr derzeit keine Rolle.