"Wir sind nicht das Maß aller Dinge, weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit", konstatiert der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel. Schon in seinem berühmten Werk "Die Verwandlung der Welt" hatte er die These vertreten, die Geschichte aller Völker und Gesellschaften sei gleich wertvoll. Einen Eurozentrismus als politischen Anspruch und moralische Haltung, der den Okzident über den Rest der Welt erhebt, erklärt er damit für unzulässig.
In seinen glänzend geschriebenen und nachdenklichen historischen Essays versucht Osterhammel die Frage zu beantworten, wie wir mit Blick auf den Erfahrungsschatz der Weltgeschichte unsere Gegenwart besser diagnostizieren und verstehen können. Er erläutert aktuelle Begriffe und historische Stichwörter aus einer globalen Perspektive, darunter Globalisierung, Migration, Brücken, Macht und Verantwortung, Konsum oder Kalter Krieg. Anhand des Negativbeispiels Libyen kritisiert Osterhammel westliche Militäreinsätze zudem als "Menschenrechtsinterventionismus".
Hochinteressant sind seine Ausführungen über die Mehrdeutigkeit des "Konfrontationsbegriffs". Wie wird der Westen von außen gesehen? Die Nicht-Europäer registrieren vor allem Widerspruch und Heuchelei: Außerhalb Europas und in den eigenen Kolonien wurden Demokratie, Gleichheit und Menschenrechte von den "Westlern" nicht beachtet. Auf die apokalyptische Frage "Endet das westliche Zeitalter?" antwortet Osterhammel mit einer Gegenfrage: Hat China als einziger realistischer Aufstiegskandidat überhaupt die Absicht, die Weltführerschaft nach dem Vorbild des britischen Empire oder der USA zu übernehmen? Will Peking seine Ideen und Werte dem Rest der Welt aufzwingen? Werden wir alle Konfuzianer? Ein westliches Zeitalter könnte enden, konstatiert der Autor, wenn der "vereinigte Westen" nicht mehr verhindern kann, was ihm missfällt. Eines sei aber sicher: Als post-westlich wird sich eine globale Konsumgesellschaft als Erfindung des euro-amerikanischen Westens durchsetzen.
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