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Israel : Ungeliebt, aber stabil

Trotz Korruptionsvorwürfen könnte Regierungschef Netanjahu erneut die Wahlen gewinnen

08.04.2019
2023-08-30T12:36:19.7200Z
5 Min

Würde man nicht wissen, dass an diesem Dienstag über die neue Knesset bestimmt wird, könnte man sich vom Straßenbild glatt darüber hinwegtäuschen lassen. Anders als früher sind die Kreuzungen in Israel nicht mehr überall mit Parteiparolen und Politikerköpfen zugepflastert. Der Wahlkampf findet heute vor allem in der digitalen Welt statt: auf Facebook, Instagram, Youtube, via Whatsapp. Eingeprägt hat sich dennoch ein hochkantiges Plakat, das die gesamte Seite eines modernen Büroturms einnahm. Ihm konnte man nicht entgehen, da es die Autofahrer Wochen lang bei ihrer Ankunft in Tel Aviv empfing. Es zeigte Benjamin Netanjahu an der Seite von Präsident Trump mit der Aufschrift: Eine andere Liga. Der langjährige Ministerpräsident, der sich gerade um eine fünfte Amtszeit bewirbt, wollte sich so absetzen von den Polit-Novizen, die ihn herausfordern - auch wenn diese vier Jahre lang eine ganze Armee angeführt haben mögen. Zu seiner Strategie gehörte es auch, sich als den einzigen wahren Patrioten im Land darzustellen und die Gegner von der Blau-Weiß-Partei - angeführt vom ehemaligen Generalstabschef Benny Gantz und zwei weiteren Ex-Generälen - als links, schwach und Landesverräter zu brandmarken.

Prognosen Glaubt man den Umfragen vom Ende der vergangenen Woche, könnte Netanjahus Kalkül aufgehen. Demnach käme seine Likud-Partei auf 30 Knessetsitze und damit drei mehr als die Blau-Weiß-Partei. Noch entscheidender aber ist die Gesamtverteilung, die über die Fähigkeit zur Regierungsbildung entscheidet. Demnach läge der rechte Block mit 67 Sitze weit vor dem linken Block mit nur 53 Sitzen. Allerdings sind Überraschungen nicht ausgeschlossen. Denn mehr als 40 Parteien bewerben sich um ein Mandat - noch nie sind so viele bei einer Wahl angetreten. Viele Israelis sind zudem noch unentschieden. Sie denken ebenfalls strategisch und wollen bis zum letzten Moment abwarten, ob es die von ihnen favorisierte Kleinpartei tatsächlich über die 3,25 Prozent-Klausel schaffen könnte. Man will vermeiden, dass die Stimme verloren geht. Diese Trend sei keineswegs neu, sagt Politikwissenschaftler Reuven Hazan von der Hebräischen Universität Jerusalem. Es gebe offenbar eine wachsende Prozentzahl von Wählern, die "nicht nur nach etwas Neuem Ausschau halten, sondern sich auch erst in letzter Minute entscheiden wollen". Das gelte für das gesamte Parteienspektrum und mache Umfragen unzuverlässiger denn je.

Auch wenn über Parteien abgestimmt wird, ist die Wahl vor allem ein Duell zwischen zwei Kandidaten. Weil er Netanjahu ablösen und ein wie nie zuvor polarisiertes Volk wieder zusammenbringen will, hat Benny Gantz die Welt der Politik erst vor kurzem betreten. Viele trauen dem 59-Jährigen hochgewachsenen Ex-Militär das auch zu; eine Zeitlang lag er in den Umfragen ganz vorn. Das war nach der Entscheidung des Generalstabschefs, den amtierenden Ministerpräsidenten wegen Korruption und Amtsmissbrauch anzuklagen. Doch das Momentum ging vorüber.

Geschütze Netanjahu ist keiner, der schnell aufgibt. Solange er nicht verurteilt ist, darf er weiter regieren und sich auch wiederwählen lassen. Fühlt er sich bedroht, blüht er erst richtig auf, inszeniert sich als Opfer der Medien und der Justiz. Besonders in der letzten heißen Wahlkampfphase ließ er jedes denkbare Geschütze gegen Gantz auffahren. Erst ging es um private Infos auf dessen Handy, in das Hacker eingedrungen waren, dann wurde seine psychische Verfassung hinterfragt. Der Herausforderer ließ die wüsten Beschimpfungen und Verleumdungen über sich ergehen und blieb höflich. "Die Menschen brauchen einen anderen Diskurs, eine würdevollere und andere Führung," argumentierte er. Sich von Netanyahu abzusetzen, war für ihn auch eine Frage des Stils. Er sei angetrieben vom dem, was in Israels Interesse liege, sagt er immer wieder, und versucht sich so als integrer Versöhner in der Mitte zu positionieren. Was das breitgefächertes Team in Gantz' Parteienbündnis für viele Israeli erst so attraktiv macht, ist zugleich eine Schwäche: Es ist nicht klar, was der politische Kitt sein soll. "Vergessen wir die Ideologie", bringt Uri Dromi, der frühere Sprecher von Itzchak Rabin und Shimon Peres, die Sache auf den Punkt, "Es gibt keine, außer den Willen, Netanjahu loszuwerden."

Das ist nicht neu. Schon bei der letzten Wahl lautete ein Slogan "Bloß nicht Bibi", aber viele Unzufriedene hatten sich am Ende damals eben doch nicht durchringen können, für den Rechtsanwalt Itzchak Herzog von der Arbeitspartei zu stimmen. Er galt nicht wirklich als Alternative. Und so wurde Netanjahu auch von seinen Kritikern wiedergewählt mit dem Argument, dass es ja niemand gebe, der ihm das Wasser reichen könne. Mit Gantz ist nun erstmals ein Akteur aufgetaucht, der in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit das Zeug dazu hätte.

Dessen Strategie, Netanjahus Beschimpfungen an sich abtropfen zu lassen, scheint aber nicht aufzugehen. Wer zu nett ist, dem wird schnell die Fähigkeit abgesprochen, über den nötigen politischen Kampfgeist zu verfügen. Nach diesen Muster lässt sich auch erklären, warum die Korruptionsvorwürfe Netanjahu nicht unbedingt schaden. "Alles in allem ist unser Land doch in guter Verfassung", konstatiert eine Wählerin. "Wozu brauchen wir einen neuen Ministerpräsidenten? Der jetzige ist doch nett, er ist charismatisch und was macht das schon, dass er lügt? Weltpolitiker müssen auch das können."

Dauerherrschaft Fakt ist, dass sich die meisten Israelis schon länger nicht mehr vom linken Spektrum angezogen fühlen. In den vergangenen 40 Jahren war die Dauerherrschaft von Rechts nur zwei Mal unterbrochen worden. In beiden Fällen konnte ein ehemaliger Generalstabschef die Mehrheit hinter sich scharen: Jitzchak Rabin und Ehud Barak. Für Israelis ist das nach wie vor ein Trumpf im Ärmel. Sie wollen vor allem in Sicherheit leben, auch wenn sie gegen die gestiegenen Lebenskosten auf die Straße gehen. In der vergangenen Dekade hat Netanjahu die Rolle dessen, der für die Sicherheit sorgt, erfolgreich besetzt. Damit kann er nun zumindest nicht mehr alleine punkten. Kritiker von Rechts werfen ihm vor, dass er sich in den jüngsten Auseinandersetzungen mit der Hamas zu nachgiebig gezeigt hätte. Da eilte ihm dann zur rechten Zeit US-Präsident Donald Trump zu Hilfe, als er erklärte, dass Washington Israels Souveränität über die Golanhöhen anerkenne. 54 Prozent der Israelis glauben, dass dies im vitalen Interesse ihres Landes liegt; 63 Prozent sehen Netanjahus Position im Wahlkampf dadurch gestärkt. Schließlich wurden vergangene Woche, nachdem man sich 37 Jahre darum bemüht hatte, auch noch die sterblichen Überreste des im Libanon getöteten Soldaten Zachary Baumel nach Israel überführt.

Am Ende aber werden die Stimmen entscheiden. Seit Netanyahu nach einer ersten Amtszeit in den 1990er Jahren 2009 an die Macht zurückgekehrt ist, gab es stets einen kleine, aber stabile Mehrheit aus rechten und religiösen Parteien. Auszuschließen ist aber nicht, dass ihn die Realität nach der Wahl - sollte er als Sieger mit der Regierungsbildung vom Präsidenten beauftragt werden - zu einer ganz anderen Koalition zwingt. Der Grund wäre kein anderer als Trump, der seine Nahostpläne demnächst vorlegen will. Man kann davon ausgehen, dass darin auch Israel Kompromisse abverlangt werden. Seinem Freund im Weißen Haus könnte Netanyahu dann kaum etwas abschlagen. Allerdings nicht mit einer vielleicht noch weiter rechts stehenden Regierung als der bisherigen.

Die Autorin ist Publizistin und freie Journalistin in Tel Aviv.