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Sozialleistungsmissbrauch : Systematischer Betrug beim Kindergeldbezug

Die Organisierte Kriminalität nutzt die EU-Bestimmungen für Ausländer aus

13.05.2019
2023-08-30T12:36:22.7200Z
3 Min

Von systematischem Betrug beim Bezug von Kindergeld durch EU-Bürger in bestimmten Fällen hat Ministerialdirigentin Daniela Lesmeister, Abteilungsleiterin Polizei im Innenministerium von Nordrhein-Westfalen, berichtet. In einer öffentlichen Anhörung des Bundestags-Finanzausschusses führte Lesmeister in der vergangenen Woche aus, dass EU-Bürger bereits dann einen Anspruch auf Kindergeld hätten, wenn der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland liege. Bei organisierten Betrugsdelikten würden kinderreiche Familien aus dem EU-Ausland dort angeworben und nach Deutschland transportiert. "Hier werden sie unter anderem in Häusern untergebracht, die sich in einem desolaten baulichen und hygienischen Zustand befinden. Oftmals sind hier nicht einmal die absoluten gefahrenabwehrrechtlichen Mindeststandards, etwa in brandschutzrechtlicher Hinsicht, erfüllt", berichtete Lesmeister offenbar unter Bezug auf die Verhältnisse in der Stadt Duisburg (Nordrhein-Westfalen), wo zahlreiche Fälle aufgedeckt worden waren.

Rattenbefall In den Schrottimmobilien seien Strom und Wasser abgestellt, es gebe Rattenbefall. Für eine Person stünden gerade fünf Quadratmeter zur Verfügung, berichtete Lesmeister. Mitten in Deutschland würden somit Menschen und insbesondere Kinder unter Bedingungen leben, die nicht nur rechtswidrig, sondern "schlichtweg menschenunwürdig" seien. Das Rechtssystem lasse immer noch zu viel Freiraum für lukrative kriminelle Geschäftsmodelle, die auf maximalen Profit durch systematischen Betrug, verbunden mit minimalem Kostenaufwand für Unterbringung und Verpflegung der Leistungsbezieher, aufbauen würden.

Gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme von Kindergeld will die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf vorgehen und unter anderem auch illegale Beschäftigung schärfer bekämpfen. Diesem Ziel dient der Entwurf eines Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (19/8691). Vorgesehen ist, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls (FKS) nicht nur Fälle von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit prüfen kann, bei denen tatsächlich Dienst- oder Werkleistungen erbracht wurden, sondern in Zukunft auch die Fälle prüfen soll, bei denen Dienst- oder Werkleistungen noch nicht erbracht wurden, sich aber bereits anbahnen. Prüfen soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch die Fälle, in denen Dienst- oder Werkleistungen nur vorgetäuscht werden, um zum Beispiel unberechtigt Sozialleistungen zu erhalten. Zusätzliche Kompetenzen sollen die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in die Lage versetzen, Ermittlungen im Bereich Menschenhandel im Zusammenhang mit Beschäftigung, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft zu führen, um so die Strafverfolgung in diesem Deliktfeld weiter zu stärken. Besonders ins Visier nehmen soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch sogenannte Tagelöhner-Börsen.

Die Präsidentin der Generalzolldirektion, Colette Hercher, bestätigte in ihrer Stellungnahme, dass oft in organisierten Strukturen die jeweiligen Voraussetzungen für den Bezug von Sozialleistungen fingiert würden. Der Kindergeldbezug werde dabei auch an Scheinarbeitsverhältnisse und gefälschte Dokumente, die einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland belegen sollten, geknöpft. Ebenfalls mittels Täuschungen und Fälschungen, die eine vermeintliche Selbständigkeit belegen sollten, werde vermehrt ein unberechtigter Bezug von weiteren Sozialleistungen erreicht. Der Schaden für die Sozialversicherung sei immens. Den Gesetzentwurf bezeichnete Hercher als "rundes Paket".

Karsten Bunk, Leiter der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, ging auf eine von mehreren geplanten Neuregelungen ein, nach der neu zugezogene Unionsbürger während der ersten drei Monate von Kindergeldleistungen ausgeschlossen werden sollen, sofern keine inländischen Einkünfte erzielt werden. Damit könne der Gefahr von Leistungsmissbrauch begegnet und Überzahlungen könnten maßgeblich verringert werden. "Die Regelung macht Sinn", so Bunk.

Bedenken der Anwälte Auf schwere Bedenken stieß dieser Gesetzesvorschlag der Regierung hingegen beim Deutschen Anwaltverein (DAV). Mit der Dreimonatsfrist werde der unionsrechtlich garantierte Anspruch auf Kindergeld für Staatsangehörige eines EU Mitgliedstaates, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten würden, in europarechtswidriger Weise beschnitten, kritisierte Hermann Plagemann für den DAV. Auch andere geplante Maßnahmen beurteilte der Anwaltverein kritisch. Weder bedürfe es zum Schutze des Sozialstaates noch zum Schutze der Rechte von Betroffenen noch zum Schutze des Wettbewerbs einer solchen Machtfülle bei der FKS.

Der Bundesverband der deutschen Lohnsteuerhilfevereine äußerte die Sorge, dass durch die vorgesehenen Einschränkungen auch Eltern benachteiligt werden könnten, bei denen kein "Missbrauch" vorliege und der Bezug des Kindergelds sachgerecht wäre. Ebenso wie der Deutsche Anwaltverein sah auch die Diakonie Deutschland einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnte den dreimonatigen Ausschluss von Kindergeldleistungen für Angehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union als "unbegründet, kontraproduktiv und wahrscheinlich auch europarechtswidrig" ab, begrüßte aber andererseits, dass die Bemühungen, gegen Schwarzarbeit, Arbeitsausbeutung, Menschenhandel und illegale Beschäftigung vorzugehen, verstärkt werden sollen.