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INTERNET : Die Unregulierbaren

Bei Teilen der Online-Games kann die Fan-Szene ungestört SS-Gilden formieren und gegen Juden hetzen

21.10.2019
2023-08-30T12:36:29.7200Z
7 Min

Hier marschiert die Waffen-SS noch. Eine regelrechte Parade diverser Gruppen ergötzt sich an dem Namen Schutz-Staffel, wie die Truppe im Nationalsozialismus hieß. Würde solcherlei in einem Klassenzimmer passieren, in Leserbriefen gepostet oder bei einer öffentlichen Versammlung verkündet, müsste die Polizei schnell eingreifen. Nicht so in dem Online-Spiel "Clash Royale". Dort versammeln sich unter der Rubrik "Waffen-SS" Dutzende sogenannte Clans oder Gilden, um zu spielen und sich gegenseitig in der Bewunderung der Nazi-Spezialeinheit zu bestärken. Oder um Juden zu schmähen.

Niemand zieht wirksam Konsequenzen, wenn in dem Online-Spiel das Volk verhetzt wird. Dabei findet das Game nicht etwa in einer klandestinen Nische des Internets statt. Weltweit haben es bereits 100 Millionen Nutzer herunter geladen. Hierzulande spielen schon Zehnjährige "Clash Royale". Die deutsche "Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle" stempelte das Spiel frei - mit einer Alterseinstufung ab sechs Jahren.

Live gestreamt Nach dem tödlichen Anschlag in Halle sind Computerspiele in der Diskussion - wieder einmal. Der geständige Täter soll ein passionierter Spieler sein, der sich im Internet radikalisierte. Er streamte sein Verbrechen live ins Netz. Sind Games und die damit korrespondierenden Video- und Schockbild-Plattformen so etwas wie virtuelle Trainingslager für militante Neonazis und einsame Wölfe?

Verallgemeinerungen helfen in einer Szene nicht weiter, die nicht gerade eine Minderheit ist: Mit 34 Millionen Spielern haben Games mehr Nutzer, als es in Deutschland Facebook-Accounts gibt (32 Millionen). "Es wäre vollkommen falsch, die ganze Gamerszene zu verdächtigen", warnt der Wiener Spieleforscher Eugen Pfister, der die Wechselwirkungen zwischen Games und Politik untersucht. "Aber es gibt Plattformen und Foren, auf denen rechte Themen unkontrolliert Verbreitung finden - ohne dass es wirklich jemand im Blick hat."

Vor der Synagoge von Halle war das Attentat grausame Realität. Auf der prominenten Video-Plattform "Twitch" erschien die Tat hingegen wie ein Killerspiel. Der Attentäter schnallte eine Handykamera auf seinen Kampfhelm, die alle seine Aktionen wie aus der Perspektive eines Ego-Shooters ins Netz übertrug. Die Onlinebetrachter konnten in Echtzeit sehen, wie er die 40-jährige Jana L. hinterrücks erschießt. Und wie er noch einmal zu dem angeschossenen 20-jährigen Kevin S. in die Dönerbude zurückkehrt, um ihn zu richten. "Der lebt doch noch", hören die Zuschauer den Täter sagen - es waren mehr als 2.000. Eine Dramaturgie wie die Kopie einer Spielszene aus einem der Games, die üblicherweise auf "Twitch" zu sehen sind.

Der Attentäter von Halle hat in einem rechtsextremen Pamphlet einzelne Phasen solcher Taten als "Achievements" eingeordnet. In Computerspielen, auch in nicht gewalthaltigen Serious Games sind "Achievements" Ziele, die mit Punkten belohnt werden, auf dass Spieler das nächste Level erreichen. In rechten Communities kursierten nach dem Attentat auf die Moschee im neuseeländischen Christchurch bearbeitete Fassungen des Streams, in denen "Achievements" oder "Kills" als Erfolgspunkte in die Erschießungen eingeblendet wurden.

Das gab es auch jetzt nach dem Anschlag in Halle. Es ist anzunehmen, dass der Täter selbst ins Tötungs-Ranking auf Plattformen wie "Discord" vorstoßen wollte. Dort rangiert auf Platz eins der norwegische Massenmörder von Utøya, dahinter der von Christchurch. Als der Attentäter auf eine Synagoge in Kalifornien seine Tat auf einer Foto-Plattform ankündigte, lautete die Reaktion im dortigen Forum: "Get the high-score", knack den Bestwert.

Dass Mörder wie in einem Computerspiel möglichst viele Menschen töten wollen, ist nicht neu. Auch die ersten weltweit berühmt gewordenen Amokläufer der Columbine High-School im US-amerikanischen Littleton im Jahr 1999 legten es darauf an, möglichst viele Menschen in den Tod zu reißen. Es gibt eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen den Tätern der Schulschießereien und den rechtsextremen Taten seit dem 77-fachen Mord auf Utøya in Norwegen im Jahr 2011. In einem letzten großen Auftritt krönen die Täter auf perverse Art ihre Versagerkarriere - auch der Mörder von Halle sagt in seinem Videostream: "I am a complete loser."

Im Fadenkreuz Das Filmen spielt eine große Rolle. Die Mörder von Littleton posierten regelrecht vor den Überwachungskameras der Schule. Aber sie filmten noch nicht selbst und streamten nicht live in eine applaudierende Community; die Technologie war damals noch nicht so weit. Und sie hatten, jenseits des Nihilismus, keine politische Ideologie. Nun aber fusionieren White-Supremacy-Fanatiker und die rechtslastigen Teile der Gamerszene. Sie haben mit korrespondierenden Chats und Plattformen das mediale Ökosystem des rechten Amok 2.0 erschaffen.

Die Taten der Columbine-Mörder waren noch eine Art pervertiertes sportives Event. Seit Utøya und dem 1.000-seitigen Manifest des Täters wird über das Morden eine rechtsextreme Ideologie gestülpt. Sie fordert, die vermeintliche Unterdrückung durch Fremde und Linke zu rächen. "Kills" dienen nicht mehr dem Highscore, sondern dem weißen Volke: Auf Utøya wurde die sozialdemokratische Jugend getötet, in Christchurch waren Muslime die Opfer, bei den Synagogen-Attentaten sind es die Juden, in Orlando gerieten 2016 die Schwulen und die LGBTQ-Leute ins Fadenkreuz, kurz: "die anderen" werden ausgelöscht, weil sie die Homogenität eines reinrassigen Volkes in einem autoritären Staat stören.

Das ist eine faschistische Ideologie. Und sie kursiert nicht etwa im Darknet, in abgeschotteten Game-Nischen oder auf Trainingsgeländen von Neonazis im Wald. Das Ökosystem von Games samt Chatforen wie "Steam" und Plattformen wie "Twitch" oder "4chan" ist öffentlich. Hier ist ein politischer Raum entstanden, wo der analoge und virtuelle Rechtsextremismus sich mit der letalen Spielkultur eines Teils der Gamerszene verschwistert. "Es gibt Überlappungen zwischen Gaming-Community, weißen Nationalisten, Antifeministen und der Community der Verschwörungstheoretiker", sagte die Extremismus-Forscherin Julia Ebert der "Süddeutschen Zeitung". "Das bedeutet aber nicht, dass von Computerspielen die Radikalisierung ausgeht, es ist eher so, dass Rechtsextreme deren Kulturelemente kapern. Sie verwenden dazu einerseits Sprache und Insiderwitze der Szene und andererseits deren Plattformen."

Vereinfacht gesagt existieren rechtsextreme Phänomene auf zwei Ebenen der Online-Spiele: die Bild- und Symbolwelten in den Games selbst, in der neuerdings Hakenkreuze verwendet werden dürfen; und die Haltung bestimmter Gamercommunities, die von frauenfeindlich bis tiefbraun grundiert sind. Der Brandenburger Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger hat auf "Steam" 52.000 Nutzer mit dem Namensbestandteil Hitler gezählt. Diese Melange toxischer Männlichkeit lebt sich dann auf Foto-Plattformen wie "4chan" voll aus, wo jeder Anonymus ist. "4chan" ist ein Brutalo-Instagram, wo unfassbare Dinge geschehen. Als dort Aufnahmen der blutverschmierten Tatwaffe und der Leiche von der Tötung eines Neunjährigen durch seinen 18-jährigen Nachbarn auftauchten, kommentierte ein Nutzer: "Hey wie geht's Marcel? Erledige bitte ein paar Sandnigger (Anm. d. Red.: Rassistischer Internetslang für nicht-weiße Menschen aus dem Nahen Osten) für das Deutsche Reich!"

Die Games sind kein Hort des Rechtsradikalen. Sie stellen das Spiel als Bindemittel bereit, das alle zusammenbringt. Loser werden in Killerspielen zu Bestimmern. Realitätsflüchtlinge können in den Parallelwelten der Spiele alle -ismen ausleben, die draußen in der realen Welt geahndet werden. Nicht umsonst heißt ein wichtiges Forum der Bild-Plattformen "/pol/" oder "politically incorrect".

Aber auch in der weiteren Gameswelt sind die Haltungen, freundlich gesagt, elastisch. In einem Stream des prominenten deutschen Youtubers Gronkh, einem Star der Szene, wird eine weibliche Figur durch einen Speerstich zwischen die Beine erledigt - mit dem Kommentar "Komm, ich vergrößer Dich". Als dies als frauenfeindlich gebrandmarkt wurde, gab es einen Aufschrei in der Szene - für Gronkh. Ihm folgen eben 4,8 Millionen Abonnenten.

Das Zurückweisen simpler demokratischer Standards der Menschenwürde ist das Kernproblem der Gamer-Community. Sie ist deutlich mächtiger, als Frauenhasser und rechte Trolle auf Twitter oder Facebook. In der US-Szene machten sich zwei bekannte Gamerinnen dafür stark, andere weibliche Charaktere zu erschaffen, die nicht nur wie großbusige Pornodarstellerinnen auftreten dürfen. Die Reaktion:. Die Frauen wurden mit Shitstorms überzogen, eine Flut von Vergewaltigungs- und Morddrohungen schwappte über sie herein.

Diese Niederlage der Demokratie ging als "Gamergate" in die jüngere Geschichte ein. Meinungsführer in den Gamer-Foren sind nicht selten Sexisten und Rassisten. Jeden Versuch der Regulation weisen sie wütend als Zensur zurück. SIe geben vor, die Freiheit die Demokratie zu verteidigen. Plattformen wie "4chan" sind in der Tat nicht als Online-Seminare für Nazis gegründet worden. Sie haben - ob einem das gefällt oder nicht - einen explizit anti-etatistischen Anspruch: Meine Perversion gehört mir, die Polizei geht das nichts an.

In der deutschen Gamerszene wird die Regulierungsfrage nicht viel anders beantwortet. Kritiker und Mahner werden verächtlich gemacht, und die Szene geht dann plötzlich weit über die Gamer und Foren-Aktivisten hinaus. In einschlägigen Teilen der Zeitungsredaktionen und selbst in Abgeordnetenbüros hieß es in den letzten Tagen: "Die 2000er Jahre sind wieder da und wollen ihre Killerspieldebatte zurück".

Das Argument geht so: Sollten die Online-Spiele Regularien, wirksamen Moderatoren oder Überwachung unterworfen werden, dann ergäbe das chinesische Verhältnisse, einen Polizeistaat. Die harte, teils hasserfüllte Front der Ablehner hat so dafür gesorgt, dass Games praktisch frei von Regeln sind. Der Cyberkriminologe Rüdiger fordert hingegen, das broken-web-Phänomen zu beenden, sprich: das Gefühl der Rechtsfreiheit in Netz und Online-Games nicht weiter zuzulassen. "Man sollte über virtuelle Polizeistreifen diskutieren, die sichtbar im öffentlichen Bereich des Internets - faktisch den Sozialen Medien - aktiv sind. Dann müsste auch bei strafbaren Handlungen aktiv gehandelt werden, wie beispielsweise über Anzeigen."

So weit ist die Gamer-Republik noch lange nicht. Beispiel Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG): Online-Spiele waren in den parlamentarischen Beratungen im Bundestag im letzten Moment aus dem Geltungsbereich des Gesetzes wieder herausgenommen worden. Das ist der Grund, warum bei "Clash Royale" niemand unter Berufung auf das NetzDG Waffen-SS-Gruppen melden kann.

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.