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MAUERFALL : Keine Wende

Bundestag würdigt friedliche Revolution vor 30 Jahren - und debattiert über ihr Erbe

11.11.2019
2023-08-30T12:36:30.7200Z
4 Min

Für den Unionsfraktionsvorsitzenden Ralf Brinkhaus (CDU) ist die Sache klar: Der 9. November 1989, der Tag an dem die Mauer fiel, war der "glücklichste Tag in unserer Geschichte". Am vergangenen Freitag debattierte der Bundestag zum 30. Jahrestag des Mauerfalls über die friedliche Revolution, die zum Sturz der SED-Diktatur und ein Jahr später zur Deutschen Einheit führen sollte.

Brinkhaus erinnerte zum Auftakt der Debatte an den Mut der Menschen in der DDR, für ihre Freiheit auf die Straße zu gehen. Diese hätten "das Wunder" der friedlichen Revolution ermöglicht. Verneigen müsse man sich aber auch vor all jenen "stillen Helden", die zwischen dem Volksaufstand von 1953 und 1989 inhaftiert worden seien oder an der innerdeutschen Grenze ihr Leben verloren hätten. Der Christdemokrat räumte zugleich ein, dass im Vereinigungsprozess Fehler gemacht worden seien. Der größte Fehler sei es gewesen, nicht über die Brüche in den Biografien der Menschen in Ostdeutschland gesprochen zu haben, "die sich komplett neu erfinden mussten", sagte Brinkhaus.

»Unrechtsstaat« Gewürdigt wurde die friedliche Revolution von allen Fraktionen. Die Debatte offenbarte jedoch auch sehr konträre Ansichten, etwa in der Bewertung der DDR. Für Brinkhaus war die DDR ein "Unrechtsstaat". Gregor Gysi (Linke) hingegen will den Begriff "Unrechtsstaat" nicht gelten lassen. Es habe zwar staatliches Unrecht in der DDR gegeben, aber der Begriff "Unrechtsstaat" sei in den 1960er-Jahren vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer auf das nationalsozialistische Deutschland geprägt worden und sei deshalb nicht auf die DDR zu übertragen, argumentierte Gysi.

Die SPD-Kulturpolitikerin Katrin Budde wiederum erteilte dem Begriff "Wende" für die Ereignisse in der DDR vor 30 Jahren eine Absage. Dieser Begriff sei vom damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz im Umlauf gebracht worden. Krenz hatte 1989 Reformen angekündigt und eine Wende in der DDR versprochen, um die Macht der SED doch noch zu erhalten. Leider, so führte Budde weiter aus, habe die "Wende" die "friedliche Revolution" im Sprachgebrauch verdrängt. Wer von der Wende spreche, der "steht nicht in der Tradition der friedlichen Revolution, der steht in der Tradition von Egon Krenz". Budde spielte damit auch auf den AfD-Wahlkampfslogan "Vollendet die Wende" bei den zurückliegenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an. Die Mauer sei auch nicht gefallen, führte Budde weiter aus, sondern "von innen", von den Menschen in der DDR eingedrückt worden. Erste Risse habe die Mauer jedoch bereits bekommen, als sich die sogenannten "sozialistischen Brudervölker" nicht mehr länger zum Handlanger der Sowjetunion machen lassen wollten.

Auch Ralf Brinkhaus und die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg wiesen den Begriff "Wende" zurück. Er sollte nicht benutzt werden, weil er den Mut der vielen Menschen in der DDR, die gegen das SED-Regime auf die Straße gingen, ignoriere, sagte Teuteberg "Es war eine Revolution." Dieser Kampf für die Freiheit habe schließlich zur Deutschen Einheit geführt. Und noch einen Begriff räumte Teuteberg ab, den der Siegerjustiz. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Akten habe recht, wenn er sage, dass das Ende der DDR auch die Peiniger im System befreit habe. Diese, so führte die Teuteberg an, seien später ausschließlich für Dinge juristisch belangt worden, die auch mit dem DDR-Recht nicht in Einklang standen. Dies zeichne einen Rechtsstaat aus. Die FDP-Politikerin rief dazu auf, mehr über die DDR und die Erfahrungen der Menschen in Ostdeutschland zu reden. Allerdings dürfe das nicht zu Relativierungen führen, eine Diktatur sei eben eine Diktatur.

Erfahrungen der Menschen An die Erfahrungen der Menschen im Osten will auch die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring Eckhardt, anknüpfen. Sie habe während ihrer Teilnahme an den Demonstrationen in der DDR gelernt, sich nicht von Angst leiten zu lassen. "Angst kann niemals Leitlinie von Politik sein", sagte sie. Die errungene Freiheit sei jedoch auch mit Zumutungen verknüpft gewesen, von denen die Menschen im Osten in den vergangenen 30 Jahren viele erlebt hätten. Zu den Zumutungen der Freiheit gehöre es auch, die Meinungen anderer ertragen zu müssen - auch die der AfD. Aber Meinungsfreiheit meine eben nicht die Abwesenheit von Widerspruch. "Sie müssen aushalten", rief Göring-Eckardt in die Reihen der AfD, "dass wir Ihren Hass klar benennen, dass wir Ihrer Menschenverachtung die Würde jedes einzelnen Menschen entgegenstellen. Sie müssen ertragen, dass wir auf Ihren Rassismus mit Zusammenhalt antworten."

Zumindest in dieser Hinsicht waren sich denn auch alle Fraktionen außer der AfD einig. Die Verantwortung für die 1989 errungene Freiheit und Demokratie dürfe nicht an autoritäre Partien und "starke Männer" abgetreten werden, mahnte CDU-Mann Brinkhaus. Dies sei "der größte Verrat" an den Frauen und Männern von 1989. Katrin Budde kündigte an, im Gegensatz zu 1989 werde sie den Staat diesmal verteidigen und nicht gegen ihn demonstrieren - "weil er eine Demokratie ist". Und Gregor Gysi hielt der AfD entgegen: "Sie haben nichts mit der friedlichen Revolution zu tun." Vor 30 Jahren seien die Menschen nicht für Hass, Rassismus und Nationalismus auf die Straße gegangen, um eine Mauer einzureißen. Die AfD aber wolle lediglich neue Mauern errichten.

Die AfD wiederum sieht selbst eine neue Mauer in Deutschland. Wie im Kalten Krieg werde das Land auch heute wieder durch einen "Antideutschen Trennwall" geteilt, urteilte der AfD-Abgeordnete Tino Chrupalla. Verantwortlich dafür sei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihren "Mikroaggressionen gegen alles Deutsche" und ihrer Flüchtlingspolitik. Er verstehe nicht, wie Merkel "so wenig Mitgefühl und Liebe zu dem Volk empfindet, das sie selbst regiert", sagte Chrupalla. Seine Rede wurde begleitet von lautstarken und empörten Zwischenrufen aus allen anderen Fraktionen.