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Prozess : Rechtsanwälte gegen Richter

Die geplanten Verschärfungen bei Beweis- und Befangenheitsanträgen führen zu Protesten der Strafverteidiger

11.11.2019
2023-08-30T12:36:30.7200Z
3 Min

Bei der Verteidigung des Rechtsstaats streiten Rechtsanwälte und Richter oft Seite an Seite. Anders sieht es aber aus, wenn die Bundesregierung das Prozessrecht straffen will und damit Forderungen aus der Richterschaft erfüllt. Die Anwälte protestieren heftig und berufen sich auf die Rechte ihrer Mandanten, der "beschuldigten Bürger".

Im Gesetzespaket zur "Modernisierung des Strafverfahrens" sind vor allem zwei Maßnahmen zwischen Anwälten und Richtern umstritten. So will die Koalition, dass Beweisanträge leichter abgelehnt werden können, wenn diese nur den Prozess "verschleppen" sollen. Und ein Richter, dem Befangenheit vorgeworfen wird, soll noch zwei Wochen weiter verhandeln dürfen, um keine Zeit zu verlieren.

"Das ist ein bis dato kaum denkbarer Raubbau an Justizgrundrechten", monieren die Strafverteidiger-Vereinigungen. Sie sehen im Regierungsentwurf ein "staatliches Förderprogramm für Fehlurteile". Der Deutsche Richterbund hält die Vorschläge dagegen für "erfreulich". Sie würden "die Verfahrensführung vereinfachen, ohne berechtigte Interessen der Angeklagten zu beschneiden".

Für Strafverteidiger ist das Beweisantragsrecht von zentraler Bedeutung. Mit eigenen Beweisanträgen können sie versuchen, die Anklage zu erschüttern. Dass Richter Beweisanträge lästig finden, sei normal, so Rechtsanwalt Jasper Graf von Schlieffen vom Organisationsbüro der Strafverteidiger-Vereinigungen, denn sie haben die Anklage ja zugelassen und damit als plausibel eingestuft. Wenn Richtern die Ablehnung von Beweisanträgen erleichtert werde, gehe das direkt zu Lasten der Angeklagten.

Verschleppungsabsicht Grundsätzlich muss das Strafgericht Beweisanträgen der Verteidigung stattgeben. Es muss dann entsprechende Zeugen laden oder Sachverständige beauftragen. Die Strafprozessordnung sieht jedoch heute schon zahlreiche Gründe für die Ablehnung von Beweisanträgen vor, etwa wenn das Beweismittel "völlig ungeeignet" ist oder wenn "wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung" ist.

Schon bisher kann ein Beweisantrag abgelehnt werden, wenn er "zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt" wurde. In der gerichtlichen Praxis wird dieser Ablehnungsgrund aber wenig genutzt. Denn bisher musste ein derartiger Beweisantrag objektiv geeignet sein, den Prozess "erheblich" zu verzögern. Dieses Merkmal soll künftig wegfallen. Es soll genügen, dass sich der Antragsteller "der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt".

Solche Anträge in Verschleppungsabsicht sollen laut Gesetzentwurf auch gar nicht mehr wie förmliche Beweisanträge behandelt werden. Die Folge: Der Vorsitzende Richter könnte sie ohne Beratung mit den Kollegen ablehnen. Nur bei einer "Beanstandung" durch den Angeklagten müsste die gesamte Strafkammer entscheiden. Die Revisionsinstanz könnte nur noch prüfen, ob das Gericht bei der Feststellung der Verschleppungsabsicht seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat.

Erneute Verschärfung Die vorgeschlagene Reform klingt einschneidend. Allerdings haben die Gerichte auch bisher genügend Möglichkeiten, vermeintlich unnötige Beweisanträge abzulehnen. Seit 2017 kann das Gericht zudem am Ende der Beweisaufnahme eine Frist setzen, um ein Hinauszögern des Urteils durch immer neue Beweisanträge zu verhindern. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hält die erneute Verschärfung des Beweisantragsrechts deshalb auch für unnötig. "Warum kann der Gesetzgeber in diesem sensiblen Bereich nicht einfach einmal abwarten, welche Resultate seine Änderungen des Verfahrensrechts zeitigen?", heißt es in einer DAV-Stellungnahme.

Heftige Kritik findet auch die geplante Verschärfung des Befangenheitsrechts. Bisher darf ein Richter, gegen den ein Befangenheitsantrag gestellt wurde, nur bis zum übernächsten Verhandlungstag weiterverhandeln. Künftig soll er bis zu zwei Wochen weitermachen dürfen. In dieser Frist muss dann das Gericht (ohne ihn) über den Befangenheitsantrag entschieden haben.

Ist der Befangenheitsantrag erfolgreich, müssten dann die zwischenzeitlichen Prozessvorgänge wiederholt werden. Aber nach Beobachtung der Bundesregierung sind die meisten Befangenheitsanträge eben nicht erfolgreich, weshalb der Regierung die bisherige Wartepflicht als überflüssige Verzögerung erscheint.

Die Strafverteidiger-Vereinigungen sehen aber auch in diesem Vorschlag eine Gefahr für die Rechte beschuldigter Bürger: "Hat ein Gericht erst einmal zwei Wochen mit einem möglicherweise befangenen Richter weiterverhandelt, liegt die Hürde hoch, dem Ablehnungsgesuch stattzugeben und das Verfahren neu aufzurollen", so die Kritik der Anwälte. Christian Rath