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BREXIT : »Ein solcher Schlamassel«

Britisches Unterhaus stimmt am 27. Februar erneut über Lösungen ab

18.02.2019
2023-08-30T12:36:16.7200Z
3 Min

Es kommt erstens immer anders, und zweitens, als man denkt - diesen Satz mag Theresa May am vergangenen Donnerstag im Kopf gehabt haben, als sie ihrer an Niederlagen ohnehin schon reichen Historie als britische Premierministerin eine weitere hinzufügen musste. Erneut verweigerten ihr die Abgeordneten des Unterhauses die Gefolgschaft, erneut ist im Brexit-Streit wieder alles offen, und das sechs Wochen vor dem EU-Austritt Großbritanniens.

Dabei hatte das Unterhaus May Ende Januar einen klaren Auftrag gegeben, den diese umgehend befolgte: Sie sollte das mit Brüssel vereinbarte Austrittsabkommen wieder aufschnüren, obwohl die EU zuvor signalisiert hatte, dazu nicht bereit zu sein. May versuchte es dennoch und ging damit auf Schmusekurs zu den Brexit-Hardlinern. Nur erfolgreich war sie nicht - die EU blieb bei ihrer Haltung.

Vergangene Woche wollte May sich deshalb von den Abgeordneten ein neues Mandat holen: zwei Wochen mehr Zeit, um mit der EU über Lösungen zu verhandeln. Doch nun wollten die Abgeordneten plötzlich nicht mehr. Ausgerechnet am Valentinstag verweigerten sie der Regierungschefin den Liebesdienst und stimmten mit 303 zu 258 Stimmen gegen eine Beschlussvorlage, die sowohl das Mandat für Nachverhandlungen als auch eine Absage an einen EU-Austritt ohne Abkommen bestätigen sollte.

Nun steht alles wieder auf Anfang. Ein Brexit ohne Deal, gefürchtet wegen seiner gravierenden wirtschaftlichen Folgen, rückt immer näher, und auch für die angeschlagene Premierministerin dürften die kommenden Tage kaum kuschelig werden. So plant eine parteiübergreifende Gruppe von europafreundlichen Abgeordneten, der Regierung die Kontrolle über den Austrittsprozess entreißen, sollte sich ein No-Deal-Brexit abzeichnen. Konkret wollen sie May zum Verschieben des EU-Austritts zwingen, falls sie bis Mitte März keinen Erfolg mit dem Austrittsabkommen hat.

Ob die Rebellion Erfolg haben wird, ist ebenso unklar wie der Ausgang der nächsten Unterhausabstimmung am 27. Februar, bei der May weitere Schritte präsentieren will. Ihr Büro erklärte bereits kurz nach der Niederlage im Parlament: Die Premierministerin werde weiter daran arbeiten, Veränderungen an dem Vertragsentwurf über die Modalitäten für das Ausscheiden Großbritanniens aus EU zu erreichen. Ziel sei ein fristgerechtes Ausscheiden aus der EU am 29. März. In dieser Woche sind weiter Gespräche mit Brexit-Minister Stephen Barclay in Brüssel geplant.

Beunruhigende Nachrichten Bei den britischen Abgeordneten rumort es derweil munter weiter. Die neue Schlappe sei ein Symbol für den "tiefgreifenden Führungsmangel" sowohl bei den Konservativen als auch in der Labour-Partei, urteilte die pro-europäische konservative Abgeordnete Anna Soubry. Verteidigungsstaatssekretär Tobias Ellwood von den regierenden Konservativen kritisierte Teile seiner eigenen Partei: Eine Gruppe von Brexit-Hardlinern verhalte sich "wie eine Partei in der Partei und das ist frustrierend".

Von einem "Valentinstags-Massaker für die Regierung" und einem "vernichtenden Urteil" für den Brexit-Plan der Premierministerin sprach der Labour-Abgeordnete David Lammy, der ein zweites Brexit-Referendum befürwortet. "Wir befinden uns in einem solchen Schlamassel", beklagte er.

Wie groß der Schlamassel tatsächlich ist, verdeutlicht unter anderem ein Blick auf die Wirtschaftsmeldungen der vergangenen Tage. So denkt laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) aktuell jedes achte deutsche Unternehmen mit Geschäft im Vereinigten Königreich darüber nach, seine Investitionen auf andere Märkte, etwa nach Deutschland, zu verlagern. Britische Medien zitieren außerdem aus einem Regierungsdokument, demzufolge von rund 40 EU-Freihandelsabkommen Großbritanniens mit Drittländern nur sechs auch im Falle eines EU-Austritts ohne Abkommen gesichert seien. Bei vielen weiteren, etwa mit Handelsschwergewichten wie Japan oder der Türkei, gebe es keine Aussicht auf eine baldige Einigung.