Den deutschen Konservatismus in der Periode seiner "möglichen Erschöpfung" zu analysieren - das ist dem Frankfurter Politikwissenschaftler Thomas Biebricher einen Versuch wert. Kenntnisreich beschreibt er die Ursprünge des Konservatismus, die er auf dessen geistigen Stammvater, den irischen Philosophen und Politiker Edmund Burke, zurückführt. In Burkes Ansatz einer erfahrungsbasierten Politik, die "aus gutem Grund die Form der kleinen Schritte und des Auf-Sicht-Fahrens" wählt, entdeckt Biebricher Parallelen zur heutigen Politik. Den Akteuren gehe es darum, "die Kollateralschäden des politischen Gestaltungswillens" in unruhigen Zeiten möglichst gering zu halten. Schon Burke hatte die "inhaltsfreie Kunst der Moderation widersprüchlicher Positionen" als Kernkompetenz des Konservatismus diagnostiziert.
Charakteristisch für die Bonner Republik ist laut Biebricher die von der Politik betriebene moderate "Bewahrung des Bewährten". Erst seit der 68er-Revolution habe es einen Umschwung zur "Rettung des Bestehenden" gegeben. In der Studie geht es jedoch vor allem um die Entwicklung des Konservatismus unter den Bundeskanzlern Helmut Kohl und Angela Merkel mit ihrem "strategisch eingesetzten Zögern".
Biebricher benennt die von den Christdemokraten geräumten zentralen Standpunkte wie das Bekenntnis zur Wehrpflicht oder zur Kernkraft, um so deutlich zu machen, warum sich am Rand der Union ein rechtes Spektrum herausbilden konnte. Bereits in den 1980er Jahren habe eine Rechtsaußenpartei wie die Republikaner mit ihren Protesten gegen Überfremdung "Achtungserfolge" erzielt. Heute habe sich der deutsche Konservatismus in seiner substanziellen Dimension (Heimat, Familie, Religion) weitgehend verbraucht habe. Als letzte intakte konservative Kernposition sei das Bekenntnis zur Haushaltsdisziplin, zur "Schwarzen Null", übriggeblieben. Angesichts dieser Diagnose will Biebricher im Falle des christsozialen Konservatismus der CSU ein Abdriften in den "Rechtspopulismus" nicht ausschließen.
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