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CORONAKRISE : Stress im System

Regierung stellt Bevölkerung auf eine mögliche Verschärfung der Epidemie ein

09.03.2020
2023-08-30T12:38:14.7200Z
5 Min

China riegelt Millionenstädte ab, die vernetzte Wirtschaft kriegt Schlagseite, der Papst betet für die Weltgesundheit und in Deutschland werden Atemschutzmasken knapp: Aus der exotischen Infektion im fernen Osten ist ein Problem vor unserer Haustür erwachsen. Die Coronakrise ist in Europa angekommen und zwingt Politiker, Manager, Ärzte und Bürger zum Umdenken. Seit um die Jahreswende herum in Wuhan, einer Stadt mit rund elf Millionen Einwohnern im Osten Chinas, Menschen an einem neuen Coronavirus (Sars-CoV-2) erkrankt sind, verbreitet sich der Erreger rasant. Die Entwicklung erinnert an das SARS-Virus, das 2002/2003 auch von China ausging und eine Pandemie auslöste.

Globale Dimension Bei SARS wurden rund 8.000 Infektionen registriert, rund 750 verliefen tödlich. Bei Sars-CoV-2 sind die Fallzahlen deutlich höher, dafür ist der Keim weniger gefährlich. In 80 Prozent der Fälle bleibt der Krankheitsverlauf schwach oder zeigt keine Symptome. Riskant ist die Lungenerkrankung, die unter der Bezeichnung Covid-19 geführt wird, für ältere Menschen mit Vorerkrankungen.

In China soll die Zahl der Neuinfizierten inzwischen rückläufig sein. Nach offiziellen Angaben haben sich dort bisher rund 80.000 Menschen infiziert, die meisten in der Provinz Hubei. Das Virus ist nun in 76 Ländern aufgetreten, besonders viele Fälle werden aus Südkorea, Iran und Italien gemeldet. Global war am Freitag von rund 100.000 Infizierten und fast 3.400 Toten die Rede. In Deutschland wurden beinahe 600 bestätigte Fälle registriert.

Hausmittel Virologen raten zur Wachsamkeit, sehen aber keinen Grund für Panik. Wenn möglich, werden die Infektionsketten unterbrochen. Da ein Impfstoff nicht verfügbar ist, sollen einstweilen "Hausmittel" reichen: Niesen und husten in die Armbeuge und regelmäßig Hände mit Seife waschen. Daneben wird empfohlen, größere Veranstaltungen zu meiden. Einige Großveranstaltungen wie die Internationale Tourismus-Börse (ITB) in Berlin und die Leipziger Buchmesse wurden schon abgesagt. Firmen verzichten auf Reisen und Meetings und lassen Mitarbeiter von zu Hause arbeiten. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind umfassend und in ihrer Dimension noch nicht absehbar (siehe Beitrag unten). Beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin bewertet ein Krisenstab die Lage ständig neu. Unlängst änderte das RKI die Risikoeinschätzung von "gering bis mäßig" auf "mäßig". In Supermärkten kam es zu Hamsterkäufen. Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken sind schwer zu bekommen und werden im Internet zu Fantasiepreisen angeboten. Nach Einschätzung des Handels sind aber keine Engpässe bei Nahrungsmitteln zu befürchten.

Wie ernst die Lage ist, vermittelte in der vergangenen Woche Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gleich zu Beginn seiner Regierungserklärung, als er feststellte: "Aus der Coronaepidemie in China ist eine weltweite Pandemie geworden." Er warb dafür, in der Krise verhältnismäßig vorzugehen, wenn es um mögliche Absagen von Veranstaltungen gehe oder die Schließung von Einrichtungen.

Einschränkungen Die Entwicklung verlaufe dynamisch, darauf müsse flexibel und entschlossen reagiert werden. Mit Blick auf die Lage in Deutschland fügte der Minister hinzu: "Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht." Es gehe derzeit darum, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und einzudämmen. Dies bringe Einschränkungen im Alltag mit sich und damit "Stress im System". Mit den vermehrten Infektionsfällen habe sich die Lage verändert. "In Deutschland hat eine Epidemie begonnen." Es seien auch noch nicht alle Abläufe eingespielt, so dauere es zu lange, bis Verdachtsfälle getestet würden. Spahn stellte die Bevölkerung zugleich auf mögliche weitere Vorkehrungen im Kampf gegen das Virus ein. Denkbar sei, dass in Kliniken Abläufe angepasst werden müssten, wenn es zu mehr Infektionen komme. Womöglich müssten dann planbare Eingriffe verschoben werden. Noch sei es aber nicht soweit. Laut Spahn gibt es derzeit nicht genügend Schutzausrüstung. Daher sei für solche Artikel eine Ausfuhrbeschränkung erlassen worden. Zudem würden Schutzmasken zentral beschafft. Was Lieferketten angehe, sollte Deutschland möglichst nicht abhängig sein von einem einzigen Land.

Lob und Tadel Die Opposition reagierte unterschiedlich auf das Krisenmanagement der Bundesregierung. Während Grüne und FDP der Koalition bescheinigten, transparent und besonnen vorzugehen, kam von Linken und AfD teils heftige Kritik. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sprach von "Chaos und Kompetenzwirrwarr", politischem Versagen und einem fahrlässigen Spiel mit der Gesundheit der Bürger. So sei die Gefahr falsch eingeschätzt worden. Die Regierung hätte sich früher und besser auf die Krise vorbereiten müssen.

Weidel forderte, die Behandlungskapazitäten zu erweitern, um auf einen "schlagartigen" Anstieg der Erkrankungen reagieren zu können. Zudem seien verpflichtende Tests für Risikopersonen nötig. "Von Hausärzten und Primärversorgungspraxen zu erwarten, dass sie ohne den erforderlichen Schutz Hilfe leisten, grenzt an fahrlässige Körperverletzung."

Bärbel Bas (SPD) wies die Pauschalkritik scharf zurück und erinnerte an die zahlreichen Vorkehrungen, die getroffen wurden. Fiebermessen an Flughäfen ergebe keinen Sinn, denn so lasse sich eine Infektion mit dem Coronavirus nicht erkennen. Es sei unsachlich, von fahrlässiger Körperverletzung zu reden, während sich alle Experten darum bemühten, das Virus einzugrenzen. Bas forderte aber mehr Schutz für das medizinische Personal. Auch müsse über eine bessere personelle Ausstattung der Gesundheitsämter gesprochen werden.

Verwundbare Wirtschaft FDP-Fraktionschef Christian Lindner lobte die Bundesregierung für ihre "Klarheit, Besonnenheit und Transparenz" in der Viruskrise. Viele Bürger seien verunsichert und ängstlich. Es sei jetzt nicht der Moment für eine parteipolitische Betrachtung der Lage, vielmehr sollte dem Krisenmanagement ungeteilte Unterstützung gewährt werden. Lindner ging auf die wirtschaftlichen Risiken ein und forderte einen Krisenstab mit diesem Schwerpunkt. Ein "Akutplan" müsse "fiskalische Maßnahmen" beinhalten. Als Exportnation sei Deutschland besonders verwundbar. Denkbar wären Sonderabschreibungen, auch könnten bereits beschlossene Entlastungen für Unternehmen vorgezogen werden.

Nach Ansicht von Georg Nüßlein (CSU) hängt die Verunsicherung vieler Bürger mit der "Dauerbeschallung durch die Medien" zusammen. Jedoch hätten die Menschen großes Vertrauen in das Gesundheitssystem. Nüßlein forderte, Arztpraxen besser zu schützen. So könnten Gesundheitsämter die Virustests übernehmen. Er ging auch kritisch auf die Abhängigkeit von Ländern wie China und Indien ein, wo Grundstoffe für Medikamente hergestellt würden. Deutschland müsse in der Hinsicht wieder unabhängig werden.

Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali rügte, es mangele an sachlichen Informationen. Auch wäre eine frühzeitige Vorsorge und Bevorratung besser gewesen. So bekämen derzeit Menschen mit schweren Krankheiten nicht ausreichend Desinfektionsmittel. Die Linke-Politikerin warb für ein Umdenken in der Gesundheitspolitik und eine Abkehr von Privatisierungen. Die Krise sei ein Alarmsignal gegen das "Kaputtsparen" des Gesundheitssystems.

Kordula Schulz-Asche (Grüne) sagte, die Regierung habe viel richtig gemacht und agiere besonnen und transparent. Auch kritische Punkte würden nicht ausgespart. Sie erinnerte jedoch daran, dass der öffentliche Gesundheitsdienst personell unterbesetzt sei und es einen Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen gebe, vor allem in der Pflege.