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Coronakrise : Mut und Risiko

Die Länder übernehmen künftig die Verantwortung für weitere Lockerungen

11.05.2020
2023-08-30T12:38:17.7200Z
4 Min

Locker bleiben, lautet ein Ratschlag in der Coronakrise, aber gleich so locker, das war dann doch eine Überraschung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die unlängst noch gerügt hatte, manche Länder gingen bei der Lockerung der Auflagen "zu forsch" vor, will es künftig eben den Ländern überlassen, den weiteren Weg aus der Krise in eigener Verantwortung zu gehen.

Noch vor der neuen Abstimmungsrunde präsentierten einige Bundesländer vergangene Woche fertige Ausstiegskonzepte, sogar Bayern, das bisher zurückhaltend agiert hatte, und stellten den Bund vor vollendete Tatsachen. Es habe keinen Sinn, sich "von Woche zu Woche zu hangeln", verkündete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Von einem regulären Betrieb ist das Land noch weit entfernt, aber die jüngsten Beschlüsse (siehe Keller) sind ein großer Öffnungsschritt. Der Bund setzte jedoch eine Notfallklausel durch, wonach strikte Auflagen erneut greifen sollen, falls die Zahl der Neuinfektionen in einer Region einen kritischen Wert übersteigen sollte. Merkel referierte die Entscheidungen wie üblich ganz sachlich und merkte an: "Wir gehen einen mutigen Weg." Sie fügte hinzu: "Ich habe ein gutes Gefühl, weil wir den Notfallmechanismus haben." Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) räumte ein: "Die Länder übernehmen heute eine sehr große Verantwortung."

Gute Zahlen Die rückläufigen Infektionszahlen sprechen dafür, das gesellschaftliche Leben wieder aufzuschließen, gleichwohl ist die epidemiologische Lage fragil, eine zweite Infektionswelle wäre jederzeit denkbar, solange keine Therapie zur Verfügung steht. Eine Allianz aus Staaten und Stiftungen hat 7,4 Milliarden Euro zusammengetragen, um allen schnell ein wirksames Mittel gegen das Coronavirus zugänglich zu machen. Nach Angaben der EU-Kommission wird an mehr als 70 Impfstoffen geforscht. Ferner werden rund 140 Wirkstoffe von Experten getestet, darunter Remdesivir, das gegen Ebola entwickelt wurde. Die Erwartungen sind riesig, die Erfolge bislang überschaubar.

Auch im Bundestag waren wieder die Gesundheitsexperten gefragt. Auf der Tagesordnung stand das zweite Anti-Corona-Gesundheitspaket (19/18967), das mehr Tests in der Pflege vorsieht, Prämien für Pflegekräfte und eine Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Auch einen Knaller hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ursprünglich im Paket verschnürt: So sollten genesene Coronapatienten sich ihre Immunität bescheinigen lassen können, falls der dauerhafte Schutz wissenschaftlich belegt sei. Sicherheitshalber bat Spahn den Ethikrat um eine Einschätzung. Eine Welle der Empörung folgte, von einer Impfpflicht durch die Hintertür war die Rede, vom Anreiz, sich zu infizieren, von Spaltungspotenzial. Bevor der Entwurf das Parlament erreichte, ließ Spahn den Passus fallen.

Finanzfragen Die Opposition zerpflückte in der ersten Beratung des Gesetzentwurfs gleichwohl allein die Idee eines Immunitätsausweises als üble Entgleisung. Auch sonst fiel die Sitzung nicht unbedingt durch Harmonie auf. Spahn sagte, in der Krise müsse es durchaus kontroverse Debatten geben, die aber konstruktiv sein sollten, sie dürften nicht spalten oder polarisieren. Die Pandemie habe gezeigt, wozu das Land in der Krise fähig sei, wenn die Gesellschaft zusammenhalte. Die SPD-Abgeordnete Bärbel Bas sagte, alle hätten den Wunsch, in ein normales Leben zurückzukehren. Dazu hätten Bund und Länder weitreichende Entscheidungen getroffen. Bei den Ländern liege nun viel Verantwortung. Bas wies auf die Bedeutung der vielen Coronatests hin. Die Finanzierung allein durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sieht sie kritisch. Es sei sinnvoll, sich langfristig mit der Finanzierungfrage zu befassen.

Fallpauschalen Nach Ansicht der AfD sollte die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder aufgehoben werden. Die Voraussetzungen dafür lägen nicht mehr vor, argumentierte Detlev Spangenberg (AfD).

Andrew Ullmann (FDP) forderte eine Vorbereitung auf die mögliche nächste Pandemie, denn die Viruskrise werde angesichts der Globalisierung und des Klimawandels nicht die letzte sein. Was die geplante Ausweitung der Coronatests betrifft, wandte sich auch Ullmann dagegen, die Kosten allein den Beitragszahlern zu überlassen.

Achim Kessler (Linke) forderte ein grundsätzliches Umdenken in der Gesundheitspolitik. So führten Fallpauschalen zu Kostendruck und Pflegenotstand. Es sei blanker Hohn, wenn die Pflegekräfte mit einer Prämie abgespeist würden. Statt einer Einmalzahlung seien attraktive Arbeitsbedingungen und höhere Löhne nötig.

Nach Ansicht der Grünen kann nicht von einem Ende der Krise gesprochen werden. Maria Klein-Schmeink (Grüne) sagte, bisher sei es lediglich gelungen, die Pandemie zu begrenzen. Mit dem Gesetzentwurf würden wichtige Dinge angeschoben, das reiche aber nicht. So hätten alle Gesundheitsmitarbeiter, die besonderen Risiken ausgesetzt seien, eine Prämie verdient, nicht nur die in der Pflege. Den Streit über die Höhe der Prämie nannte sie "kleinlich".

Georg Nüßlein (CSU) sagte, es sei nicht alles überstanden, "aber es gibt Anlass zur Freude". Umso ärgerlicher seien populistische Debatten. Die Linke fordere ein staatliches Krankenhauswesen, kritisiere aber das Krankenhausmodell in Großbritannien. Auch in staatlichen Systemen seien die Mittel knapp.