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Parlamentarisches Profil : Der Abräumer: Dirk Wiese

14.09.2020
2023-08-30T12:38:22.7200Z
3 Min

A ls im Jahr 2003 Friedrich Merz in seiner Heimatstadt Brilon zum "Sturm auf das rote Rathaus" aufrief, einem 25.000-Einwohner-Ort im Sauerland, trat Dirk Wiese in die SPD ein. Das war ihm dann doch zu hart, was der Merz da von sich gab - "Sauerländer gelten ja als wortkarg", sagt er. "Mit diesem Spruch hat Merz den Bogen überspannt und seitdem jede Wahl in Brilon um das Rathaus verloren." Nun, 17 Jahre später, ist Wiese 37, schon im siebten Jahr im Bundestag und seit Mai stellvertretender Vorsitzender der Fraktion; deshalb auch nun die Abgabe der Koordinatorenstelle des Russland-Beauftragten.

Im Unterschied zu Merz bemüht sich Wiese nicht um Reizworte. Eher Ausgleichendes gehört zu seinem Vokabular. Bis vergangenen August war er Russland-Koordinator und bemüht sich auch jetzt, die wegen der Vergiftung am Kremlkritiker Alexei Nawalny angespannten bilateralen Beziehungen nicht schlechter zu reden, als sie gerade sind. "Wir brauchen Antworten von der russischen Regierung", sagt er, im Rücken das Fenster zur Spree und dahinter, in der Ferne, Schemen des grauen Brocken der Charité, in der Nawalny liegt. "Stand heute ist das nicht der Fall." Noch seien Fragen offen und es gebe Spekulationen, "aber je mehr Nebelkerzen von russischer Seite, desto mehr Fragezeichen". Dazu gesellt der Jurist Deeskalierendes: Dass man sich seine Tanzpartner auf der weltpolitischen Bühne nicht aussuchen könne, und "wir dürfen nicht in Sprachlosigkeit verfallen".

Befürchten das Sauerländer? Wiese jedenfalls gilt in der Politik mehr als Abräumer denn als Büttenredner. Landwirtschaft, Wald und Forst, ländliche Räume, Verbraucherschutz und Wirtschaft waren seine Themen als Parlamentarischer Staatssekretär zwischen 2017 und 2018 im Bundeswirtschaftsministerium; als Peter Altmaier (CDU) das Ressort übernahm, wechselte Wiese auf die Koordinatoren-Stelle, von Russlanderfahrungen unbelastet. "Mir hat es nie Schwierigkeiten bereitet mich einzuarbeiten", sagt er, "vielleicht werde ich deshalb zuweilen ins kalte Wasser geworfen". Kein Wunder, dass Wiese in der SPD nicht im linken Flügel beheimatet ist, einer der Sprecher des Seeheimer Kreises ist er auch. "Ich will mich um konkrete Probleme kümmern, das ist mir wichtiger als in langen Theoriedebatten eventuell Recht zu behalten."

Wer ohne Wiese zu kennen seine Website liest, stellt sich ihn als älteren Herrn vor. Dort steht, dass er "glücklich verheiratet" ist, eine Binse "Ohne Musik wäre das Leben nicht vollständig" und das Bunsenbrennerbekenntnis "Es gibt einfach nichts Besseres als Urlaub auf dem Campingplatz". Doch der Briloner ist lediglich stark heimatverbunden. Beschreibt die Sauerländer als ruhig, zielstrebig und stur, schüttet im Gespräch sein Herz auch kaum aus und kommt gerade deshalb nicht unfreundlich daher.

"Ich habe mich nie so wahrgenommen, dass ich der jüngste bin", sagt er mit Rückblick auf die Zeit, als er 2004 als Sachkundiger Bürger im Forstausschuss in den Stadtrat einzog. Wichtig sei die Mischung. "Von den Erfahrungen Älterer lässt sich profitieren, und auch, dass nicht jede Debatte die allerwichtigste ist." Es klingt nicht alt, eher anerkennend.

Flotte Sprüche klopft er mehr, wenn es um Fußball geht. Am Garderobenständer seines Berliner Büros hängt ein Trikot von Borussia Dortmund. "Schwarz-Gelb ist nur im Fußball gut", sagte Wiese. Und erinnert sich an das erste Fußballspiel, zu dem einer seiner beiden älteren Brüder ihn mitnahm, 1993 gegen Werder Bremen (3:2). Seine eigenen Abräumerqualitäten bewies er als Torwart in der Jugend des SV20 Brilon, "jetzt aber bei den Altherren."

Wiese erinnert sich an die Zeiten, als im Haus Wiese die Wahlsiege Helmut Kohls nicht gerade bejubelt wurden. Die Mutter Krankenschwester, der Vater zuerst bei der Bundeswehr und dann Finanzbeamter, eine Familie in der "Mitte". Sauerland ist schwarzes Terrain, das Briloner Rathaus aber beherbergt seit 1999 einen SPD-Bürgermeister, Merzens Appell zum Trotz. "Wir pflegen ein professionelles Verhältnis", sagt Wiese über den Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz. "Aber ich werde auch nicht jedes Wochenende von ihm zum Kaffee eingeladen."