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RUSSLAND : Blicke in die Röhre

Der Fall Nawalny sorgt für eine neue Debatte über die Zukunft von Nord Stream 2

14.09.2020
2023-08-30T12:38:22.7200Z
3 Min

Nach der Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny lässt die Bundesregierung die Zukunft des Gasprojekts Nord Stream 2 weiter offen und erhöht den Druck auf Russland. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Außenminister Heiko Maas (SPD) signalisierten in der vergangenen Woche, dass sie Auswirkungen für die Pipeline nicht von vornherein ausschließen wollen.

Die Bundesregierung betrachtet es nach Untersuchungen in einem Speziallabor der Bundeswehr als zweifelsfrei belegt, dass Nawalny mit einem Nervengift der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Der Oppositionspolitiker wird derzeit an der Berliner Charité behandelt. Moskau bestreitet eine Verwicklung in den Fall. Der russische Anwalt gilt als prominentes Gesicht der russischen Opposition gegen Präsident Wladimir Putin. Er dokumentierte unermüdlich zahlreiche Fälle von Selbstbereicherung und Korruption im russischen Machtapparat. Die Partei "Einiges Russland", auf die sich der Kreml stützt, bezeichnet Nawalny als "Partei der Diebe und Gauner".

Bisher hatte die Bundesregierung Russland zwar mit harten Worten zur Aufklärung aufgefordert, eine Verknüpfung mit dem europäisch-russischen Gasprojekt aber vermieden. Nord Stream 2 wird durch die Ostsee gebaut, ist fast fertig und soll Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren. Das Projekt ist umstritten. Vor allem mittel- und osteuropäische Staaten, aber auch die USA warnen vor einem zu starken Einfluss Russlands auf den europäischen Energiemarkt (siehe Seite 3). Kritisiert wird zudem, dass Russland mit Gas-Einnahmen völkerrechtswidrige Angriffe oder umstrittene geopolitische Alleingänge finanziere - von der Ostukraine bis Syrien und Libyen.

Sprache CSU-Vize Manfred Weber macht sich für einen Baustopp stark. "Es geht um ein System, das offenbar bereit ist, Menschen zu töten oder, im Fall Nawalny, zu vergiften, um sie mundtot zu machen. Da kann Europa nicht an der Seite stehen." Nötig seien klare Signale. "Präsident Putin versteht leider nur die Sprache der Macht und des Geldes", sagte der EVP-Fraktionschef im Europaparlament.

Für FDP-Parteichef Lindner ist "ein Regime, das Giftmorde organisiert", kein Partner für große Kooperationsprojekte wie Nord Stream 2. Im Bundestag brachte die FDP-Fraktion vergangene Woche einen Antrag (19/22112) ein, mit dem ein Mechanismus bei Menschenrechtsverletzungen etabliert werden soll. Dabei geht es zum Beispiel um das Einfrieren von Konten und Einreise-Verbote in Deutschland und in der gesamten EU: "Wir wollen nicht die Russinnen und Russen sanktionieren, wir wollen diejenigen sanktionieren, die für Menschenrechtsverletzungen zuständig sind", sagte der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff.

Auch Vertreter der Grünen, darunter Jürgen Trittin, machen sich für das Einfrieren der in Europa angelegten Vermögen russischer Eliten stark. "Wenn Europa der politischen Führung in Russland einen Schlag versetzen will, sollte man auf Nawalny hören", sagte Trittin. Parteichefin Annalena Baerbock würde zudem auch mögliche Entschädigungszahlungen aus Steuermitteln in Kauf nehmen. Angesprochen auf etwaige Ansprüche der an Nord Stream 2 beteiligten Firmen sagte sie im ZDF: "Ja, das wäre ein hoher Betrag. Ja, der müsste dann auch im Zweifel gezahlt werden."

Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans bezeichnete den Anschlag auf Nawalny als "kaltblütigen Mordversuch an einem unbequemen Geist". Er warnte aber vor einem "Wettbewerb der Sanktions-Ideen" gegen Russland. Die Bundesregierung bemühe sich derzeit um eine europäische Antwort und ein mit den Verbündeten abgestimmtes Vorgehen gegen Russland.

Zweifel an der Handschrift staatlicher russischer Stellen äußert hingegen die Außenpolitikexpertin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen: "Wir können nicht sagen, weil es ein Gift der Nowitschok-Gruppe ist, dass es sofort nur die Russen sind." Auch westliche Geheimdienste könnten den Kampfstoff haben, mit dem Nawalny vergiftet worden sei. Gregor Gysi (Die Linke) betonte, dass die Täterschaft noch unklar sei: "Es kann ja auch sein, dass es zum Beispiel ein Gegner der Erdgasleitung von Russland nach Deutschland ist."

Energiesicherheit Die AfD lehnt es ab, einen Zusammenhang zwischen dem Fall Nawalny und der Erdgas-Leitung herzustellen. "Keine Frage: Der Giftanschlag auf Nawalny muss aufgeklärt werden", sagte Parteichef Tino Chrupalla. Die Bundesregierung dürfe aber deshalb nicht Nord Stream 2 infrage stellen und dadurch die deutsche Energiesicherheit gefährden. Der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Armin-Paul Hampel, sagte: "Nawalny hat Gegner innerhalb und außerhalb des Kremls. Die Bundesregierung ist gut beraten, hier sachlich und mit Augenmaß vorzugehen."

Der Bundestag debattierte vergangenen Freitag bis in die Abendstunden in einer Aktuellen Stunde über den Fall Nawalny und das Pipeline-Projekt. Dessen Zukunft und die Frage, zu welcher gemeinsamen Antwort sich die EU-Staaten auf die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers durchringen, dürften Themen des EU-Gipfels Ende nächster Woche sein.