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PKW-Maut : Wer lügt?

Bei der Frage, ob es ein Angebot gab, die Maut-Verträge später zu unterzeichnen, steht Aussage gegen Aussage.

05.10.2020
2023-08-30T12:38:23.7200Z
4 Min

Es ist 23.26 Uhr am vergangenen Donnerstag, als Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) eiligen Schrittes den Anhörungssaal 3.101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses betritt. Seit über 13 Stunden tagt da schon der 2. Untersuchungsausschuss ("Pkw-Maut") in einer Marathonsitzung, wie es sie in der bisherigen Arbeit des Ausschusses noch nicht gegeben hat. Die Abgeordneten versprechen sich Aufklärung in einer entscheidenden Frage: Hat der Minister das Parlament belogen, indem er erklärt hat, es habe seitens der potenziellen Betreiber der Pkw-Maut nie ein Angebot gegeben, mit der Unterzeichnung des Vertrags bis nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu warten?

Genau diesen Vorschlag will Klaus-Peter Schulenberg, Vorstandsvorsitzender der CTS Eventim, dem Minister in einem Spitzentreffen am 29. November 2018 unterbreitet haben. Im früheren Verlauf der Ausschusssitzung schilderte Schulenberg seine Sicht der Dinge. An dem Treffen nahmen demnach Schulenberg, sein Konsortialpartner Georg Kapsch von der österreichischen Mautfirma Kapsch TrafficCom, Minister Scheuer und sein damaliger Staatssekretär Gerhard Schulz teil. Hintergrund war, dass das vom Betreiberkonsortium eingereichte finale Angebot im Vergabeverfahren "Erhebung" mit rund drei Milliarden Euro deutlich über dem Haushaltsrahmen lag.

"Schulenberg, Sie müssen etwas für Deutschland tun", habe ihm der Minister gesagt. Er, Schulenberg, habe deshalb angeboten, mit der Vertragsunterzeichnung bis nach dem EuGH-Urteil zu warten. Das hätte den Vorteil gehabt, das Risiko eines negativen EuGH-Urteils nicht mehr einpreisen zu müssen, erläuterte der Zeuge. Außerdem hätte man mehr Zeit gehabt, die Finanzierung der Maut zu planen. Der Minister habe den Vorschlag abgelehnt mit der Begründung, ein Start der Maut erst im Wahljahr 2021 komme nicht in Frage.

Notizbuch Bestätigt wurde diese Darstellung nicht nur von Kapsch, sondern auch von dem ebenfalls als Zeuge geladenen Volker Schneble. Dieser war als Geschäftsführer des von CTS Eventim und Kapsch TrafficCom gegründeten Gemeinschaftsunternehmens Autoticket GmbH beim Termin am 29. November 2018 zwar nicht dabei, wurde aber nach eigenen Angaben unmittelbar nach dem Gespräch von Schulenberg über dessen Vorschlag informiert. Schneble hielt am selben Tag in seinem Notizbuch drei Stichworte zu den Inhalten des Gesprächs fest. Auf Grundlage dieser Notizen fertigte er am 19. September 2020 - also fast zwei Jahre später - einen Vermerk für den Untersuchungsausschuss an, der noch vor der Sitzung seinen Weg in die Medien fand.

Hätte also die Schadenersatzforderung der Betreiber in Höhe von 560 Millionen Euro verhindert werden können, wenn der Minister auf den Vorschlag einer Verschiebung eingegangen wäre? Folgt man Scheuer, dann war das nicht der Fall - denn dieser Vorschlag sei nie gemacht worden. "Meiner Erinnerung nach gab es kein Angebot, mit der Unterzeichnung des Vertrags bis nach dem EuGH-Urteil zu warten", sagte Scheuer im Ausschuss. Es habe auch gar keinen Grund dafür gegeben, da zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar gewesen sei, ob es zu einem Vertrag mit der Bietergemeinschaft kommen werde - schließlich sei man um rund eine Milliarde Euro auseinandergelegen. Zudem sei er überzeugt gewesen, dass der EuGH die Klage Österreichs gegen die Pkw-Maut ablehnen werde.

Bestätigt wurde diese Darstellung von Ex-Staatssekretär Gerhard Schulz, der erst am Vortag als zusätzlicher Zeuge geladen worden war. "Aus meiner Erinnerung gab es dazu kein konkretes Angebot", sagte Schulz im Ausschuss. "Wir brauchten nicht mehr Zeit. Wir brauchten ein Angebot, das zuschlagsfähig war." Bereits am 22. November habe er dem Konsortium CTS Eventim/Kapsch TrafficCom vermittelt, dass dessen finales Angebot nicht wirtschaftlich sei. Er habe deshalb Aufklärungsgespräche angeregt mit dem Ziel, durch Änderungen am Vertragsgegenstand Einsparungen zu erzielen - was dann auch gelang.

Doch das war nicht das einzige Spitzentreffen, das den Ausschuss umtreibt. Bereits am 3. Oktober 2018 hatten sich am Berliner Flughafen Tegel Minister Scheuer und Staatssekretär Schulz mit Kapsch und Autoticket-Chef Schneble getroffen. Auch hier weichen die Erinnerungen voneinander ab. Schneble berichtet, er habe Scheuer um das Treffen gebeten, da die wiederholte Verschiebung des Abgabetermins für das finale Angebot im Verfahren "Erhebung" sein Unternehmen vor Probleme gestellt habe. Scheuer erinnerte sich hingegen, es sei ihm vor allem darum gegangen, Kapsch kennenzulernen. Das bestätigte Schulz, ergänzte aber, der Minister habe auch den guten Draht von Kapsch zur österreichischen Regierung nutzen wollen.

Tatsächlich erzählte Kapsch den Abgeordneten, Scheuer habe ihn bei diesem Treffen angesprochen, ob er den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz kontaktieren könne. Er habe dann Kurz angerufen und gehe davon aus, dass dieser anschließend mit Scheuer telefoniert habe. Genau umgekehrt stellte es Scheuer dar: Kapsch habe sein politisches Netzwerk in Österreich hervorgehoben und angeboten, einen Kontakt zu Kurz herzustellen. Nötig gewesen wäre das laut Scheuer nicht - ein deutscher Minister verfüge auch so über die nötigen Kontakte.

Noch ein drittes Mal sollten sich die Protagonisten treffen: am 19. Juni 2019. Wenige Stunden vorher hatte das Ministerium den Betreibervertrag gekündigt und dafür zwei Gründe angeführt: Das am Vortag ergangene Urteil des EuGH, das die Pkw-Maut für nicht vereinbar mit EU-Recht erklärte, und eine Schlechtleistung der Bieter.

Letzterem widersprechen die Topleute der Bietergemeinschaft vehement: Die Kündigung sei "überraschend und unbegründet" gewesen und als "klares Foulspiel" empfunden worden, sagte Autoticket-Chef Schneble. Denn bis zu diesem Zeitpunkt sei die Zusammenarbeit mit Bundesverkehrsministerium und Kraftfahrt-Bundesamt sehr gut gewesen.

"Aufgeladen und angespannt" sei die Atmosphäre am 19. Juni gewesen, erzählte Schulenberg. Gegen Ende des Gesprächs regte Scheuer laut Schulenberg an, das Konsortium solle in der Öffentlichkeit die Darstellung des Ministeriums stützen, der Vertrag habe noch 2018 unterzeichnet werden müssen. Die Darlegung der Kündigungsgründe im Verkehrsausschuss könne dann "so oder so" ausfallen. Das habe er als "Drohung" gewertet, sagte Schulenberg. Und Scheuer? Das sei keine Drohung gewesen, und Schulenberg habe "vielleicht etwas überemotional reagiert". Christian Hunziker