Piwik Webtracking Image

Parlamentarisches Profil : Der Arzt: Rudolf Henke

02.11.2020
2023-08-30T12:38:25.7200Z
3 Min

V on draußen rattern Maschinengewehrsalven, die sich als Stöße eines Presslufthammers erweisen. Das Büro im Altbau erlaubt einen Blick auf eine Baustelle. Autos rauschen die Berliner Wilhelmstraße hoch gen Bundesfinanzministerium. Und durch die Bürotür eilt Rudolf Henke, er kommt von der Unionsfraktionssitzung, "es wurde viel über Corona diskutiert", sagt er.

Henke, 66, setzt sich. Eigentlich ist ein Gespräch über die Rolle der Legislative in der Pandemie geplant, aber erstmal geht es um letztere selbst. "Auch bei uns hoffen einige, dass man noch Zeit hat, schrittweise die Kontakte zu reduzieren", sagt er und klingt nachsichtig, ganz der Arzt, der er im Beruf ist. "Wir müssen aber eine gewaltige Menge an Kontakten reduzieren, und zwar bis zu 60 Prozent." Wenn sich die jetzige Anzahl belegter Intensivbetten viermal verdoppeln würde, "wären wir schon am Rand des Machbaren angekommen, allein wegen des Personalmangels". Viele Leute, fügt er hinzu, seien sich des Reiskorns auf dem Schachbrett und seiner Vervielfältigungsmöglichkeiten nicht ganz bewusst.

Seit 2009 vertritt Henke als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter den Wahlkreis Aachen I, vorher saß er von 1995 bis 2009 im Landtag von NRW, 1992 war er in die CDU eingetreten. Der Facharzt für innere Medizin stand viele Jahre bis 2019 der Ärztegewerkschaft Marburger Bund vor. Wenn Politiker wissen wollen, wie es um die Ärzteschaft steht, wenden sie sich mitunter an ihn. "Alle Gesundheitsorganisationen und Ärzteverbände sind bisher dafür, dass an der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite festgehalten wird", sagt er. Dies hatte der Bundestag im März beschlossen. Doch seitdem dominieren die Bilder der Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Ist das angemessen?

"Ich bin erstaunt, wie viele glauben, wir Abgeordnete hätten uns die Butter vom Brot nehmen lassen", erwidert Henke. Seit der Pandemie habe es 70 Debatten im Bundestag mit Bezug zu Corona gegeben, "der Bundestag hat sich seiner Aufgabe intensiv gestellt. Wir haben nur nicht solch eine Berichterstattung wie die Kanzlerin und die Länderchefs." Unpräzise finde er das. Schließlich basierten die meisten Corona-Maßnahmen auf Länderbeschlüssen, "das ist nicht der Bund, und auch in den Ländern haben die Landtage mitgeredet". Die Beteiligung der Parlamente sei für ihn eine zentrale Frage, gemäß den Worten des ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert hätten halt alle Staaten eine Regierung, aber nur die Demokratien ein starkes Parlament. Nur sieht Henke diese Beteiligung bei der Pandemie gegeben. "Es ist nicht weniger demokratisch und verantwortungsvoll, wenn ich für die Aufrechterhaltung der Feststellung einer epidemischen Lage stimme." Die Initiative von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble für konkrete Ermächtigungsgrundlagen begrüßt Henke. "Wir sollten uns sichtbarer machen." Eine weitere Lektion aus der Lage sieht er in einer Stärkung der Rolle des Robert-Koch-Instituts, aber: "In einer Lage ändert man keine Regeln." Heißt: ein Thema vor der nächsten Pandemie.

Bleibt die Frage, warum Oberarzt Henke in die Politik eintrat. Bei der CDU-Hochschulorganisation RCDS habe er sich während des Studiums engagiert, aber in die Partei sei er aus Zeitgründen nicht eingetreten, "ich wollte kein reines Zählmitglied sein". Doch 1992 ärgerte er sich zunehmend über die Erfolge der Republikaner und der PDS, über ein Unbehagen in der Mitte - und wollte sie stärken. Den Ausschlag gab eine Autofahrt. Henke war in die Bonner Bundesgeschäftsstelle der CDU geladen worden, es ging um eine Expertenrunde zu Gesundheitsthemen, er hatte sich im Krankenhaus einen Tag Urlaub genommen. Doch dann auf dem Weg dorthin die Absage: Der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) wollte mehr intern beraten. Henke ärgerte sich, fuhr weiter zur Geschäftsstelle und verlangte im Keller ein Beitrittsformular. Draußen dunkelt es. "Ich fühle mich unverändert als Arzt, ich habe nicht die Fakultät gewechselt. Abgeordneter ist kein Beruf, sondern ein Mandat."