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Parlamentarisches Profil : Die Temporeiche: Kirsten Kappert-Gonther

23.11.2020
2023-08-30T12:38:26.7200Z
3 Min

K önnte man Kopfschütteln hören, dröhnte es jetzt laut durch den Hörer. "Es ist erschütternd, wie viele Falschmeldungen kursieren", sagt Kirsten Kappert-Gonther, sie ruft zwischen zwei Abstimmungen kurz durch. "Diese Debatte wird von rechts gekapert und mit Unsicherheit gefüttert, um davon zu profitieren."

Die Debatte, das ist der Beschluss des Bundestags zum Dritten Infektionsschutzgesetz. Es ist der Tag, an dem Abgeordnete Hunderte computergenerierte Hassmails in der Minute bekommen, draußen der Reichstag demonstrierende "Corona-Zweiflern" anzieht, welche durch das Gesetz die Anbahnung einer Diktatur sehen - und es ist der Tag, an dem die Polizei die zunehmend militanten Protestler mit Wasserwerfern zurückdrängt.

"Dabei stärkt das Gesetz die demokratische Grundlage in der Pandemie", sagt Kappert-Gonther, sie ist Abgeordnete der Grünen und Obfrau ihrer Fraktion im Gesundheitsausschuss. "Das Parlament hat Grundsätze des Infektionsschutzes festgelegt." Kappert-Gonther ist Medizinerin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Bevor sie 2017 in den Bundestag einzog, hatte sie ihre eigene Praxis. "Für mich als Ärztin ist es elementar, dass evidenzbasierte und erforderliche Maßnahmen auch einer gerichtlichen Kontrolle standhalten", sagt sie am Handy. "Das Corona-Virus ist gefährlich, und wir müssen die Kontakte deutlich reduzieren, um uns und andere Menschen zu schützen. Wenn Gerichte Maßnahmen aufheben, weil sie nicht gut begründet sind oder die Rechtsgrundlage fehlt, erhalten wir einen Flickenteppich."

Halbe Sachen scheinen ihr kaum zu gefallen. Ein Blick auf Kappert-Gonthers Biografie zeigt, dass sie es mit Schneckentempo nicht so hat. Politisches Engagement mit 15, in der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung. Dann Studium mit zwei Fachausrichtungen, währenddessen zwei Kinder. "Beim 2. und 3. medizinischen Staatsexamen war ich hochschwanger", sagt sie, "da konnte ich jeweils das gleiche Prüfungsoutfit tragen". Ihren Beruf würde sie lieben. Toll und erfüllend sei es, Menschen ärztlich zu helfen. Aber dann seien da die Rahmenbedingungen. Die führten sie in die Politik. "Es muss sich viel ändern, auch für unsere Gesundheit." Klimakrise und Gesundheit etwa seien für sie verknüpft. "Hitze und Feinstaub haben direkten Einfluss auf das Klima und auf die Gesundheit - das sieht man auch bei Covid-19-Erkrankungen, eine durch Feinstaub vorgeschädigte Lunge erhöht die Gefahr für einen schweren Verlauf."

2011 wurde sie Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft. Und schon ein Jahr später forderte sie Marieluise Beck heraus, Grüne der ersten Stunde und langjährige Bundestagsabgeordnete. Kappert-Gonther unterlag knapp. Warum der Bundestag? Bei Gesundheit müsse man stets den Kontext sehen, sagt sie. "Die Stellschrauben in der Gesundheitspolitik werden auf Bundesebene gedreht."

Vier Jahre später dann war den Bremer Grünen klar, dass es nun Zeit für sie war. Ein Dreivierteljahr vor den Bundestagswahlen 2017 habe sie mit ihren Patientinnen und Patienten gesprochen, wie ihre Behandlung gut abgeschlossen werden kann. "Einige wenige kamen dann noch bis 2018 zu mir, in losen Abständen." Weiter ging es: Schon im Herbst 2019 erklärte sie zusammen mit Cem Özdemir ihre Kandidatur für den Fraktionsvorsitz. Beide scheiterten recht klar. "Das war eine demokratische Entscheidung, die ich gut akzeptieren kann, wir haben einen sehr guten Zusammenhalt in der Fraktion."

Warum also dieses generelle Tempo? Sie neige zu Begeisterung und Engagement, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Mann, auch er ein Arzt, habe sie die ersten Jobs als Teilzeitstellen angetreten. "Für Themen, die ich wichtig finde, übernehme ich gern direkt Verantwortung." Ein Blick auf die Uhr, durch die Lautsprecher dringt der Aufruf zur Abstimmung. Mit dem Infektionsschutzgesetz zeigt sie sich im Wesentlichen zufrieden, "viele Vorschläge von uns Grünen wurden im Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen. Die parlamentarische Debatte darüber muss weitergehen". Dann eilt sie zum Plenarsaal.