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Europa : Zusammengerauft

Zum Abschluss der deutschen Ratspräsidentschaft gelingt Kanzlerin Merkel der Durchbruch beim EU-Haushalt und einem neuen Klimaschutzziel

14.12.2020
2023-08-30T12:38:27.7200Z
4 Min

Die Erleichterung war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) anzusehen. Beim EU-Gipfel war ihr in der Nacht von Donnerstag auf Freitag als Ratsvorsitzende gelungen, einen Kompromiss mit Polen und Ungarn zu finden, um den erbittert geführten Streit um einen Rechtsstaatsmechanismus zu beenden. Beide Staaten wollten eine Verknüpfung der Auszahlung von EU-Geldern und der Befolgung von Rechtsstaatlichkeit nicht akzeptieren, gaben nun aber ihre Blockade des im Juli vereinbarten EU-Haushalts für die kommenden sieben Jahre und das Corona-Rettungspaket auf. Dies wiederum war Grundlage für eine Einigung auf ein neues Klimaschutzziel für 2030. "Dafür hat es sich gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen", sagte Merkel am Freitagvormittag.

Merkel hat damit am Ende der deutschen Ratspräsidentschaft zwei große Erfolge errungen - auch wenn der Ausgang des Brexits weiter offen ist. Anfang der Woche hatte es noch so ausgesehen, als ob bei keinem der großen Themen ein Fortschritt erzielt werden könnte. Merkel begrüßte, dass die Mitgliedstaaten nun ein "Zeichen der Zusammenarbeit" gesetzt hätten.

Gesichtswahrender Deal Mit einem Kompromissangebot an Polen und Ungarn durchbrach die Deutsche deren Widerstand. Das neue Rechtsstaatsinstrument soll nun nicht angewandt werden, ehe der Europäische Gerichtshof nicht geprüft hat, ob dieser mit europäischem Recht vereinbar sei. Die Regierungschefs beider Länder akzeptierten den gesichtswahrenden Kompromiss.

Das Einlenken Polens und Ungarns hatte freilich auch viel damit zu tun, dass beide Länder sich mit ihrer Fundamentalopposition selbst schadeten. Im 750 Milliarden Euro starken Wiederaufbauprogramm sind für beide bedeutende Beträge vorgesehen. Relativ zur Wirtschaftsleistung werden sie aus dem Fonds sogar mehr Geld als Italien bekommen, das in der ersten Corona-Welle stark gelitten hatte.

Um innenpolitisch Stimmung zu machen, blockierten Polen und Ungarn jedoch über Monate den Deal, der im Juli bei einem der längsten EU-Gipfel der Geschichte beschlossen worden war.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte am Freitag in Brüssel, dass die Überprüfung des Europäischen Gerichtshofs eher Monate als Jahre dauern werde. "Uns geht kein Fall verloren." Die Kommission werde ab Januar mögliche Unregelmäßigkeiten festhalten und den neuen Mechanismus anwenden, so wie ihn der Europäische Gerichtshof bestätigt habe.

Ohne den Durchbruch bei den gemeinsamen Finanzen hätten die Staats- und Regierungschefs das Thema Klimaschutz überhaupt nicht debattieren können. Viele EU-Staaten schielen auf Mittel aus Brüssel, um den Übergang zur Klimaneutralität bis 2050 bewältigen zu können. Bis alle Mitgliedstaaten auf das neue gemeinsame Ziel von 55 Prozent CO2-Einsparungen bis zum Jahr 2030 eingeschworen waren, dauerte es allerdings die ganze Nacht. Vor allem Polen legte sich quer und verlangte verbindliche Zusagen für seine Energiebranche. Die harten Verhandlungen gaben einen Vorgeschmack auf die Auseinandersetzungen, die den EU-Mitgliedstaaten in den kommenden Monaten bevorstehen. Aus politischer Sicht ist es einfach, einem globalen Einsparungsziel zuzustimmen, das die EU weltweit zum Vorreiter beim Klimaschutz macht. Wenn es darum geht, im eigenen Land Maßnahmen zu ergreifen, die bestimmte Gruppen stärker treffen, wird es schon deutlich schwieriger.

Hinzu kommt: Dem Europäischen Parlament ist der Gipfelbeschluss zum Klimaschutz nicht ambitioniert genug. Die Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Ska Keller, spricht von einem "bedeutenden Fortschritt". Er "wird aber nicht ausreichen, um die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen". Die Europaabgeordneten hatten sich mit knapper Mehrheit für ein Ziel von 60 Prozent ausgesprochen.

Kritik an Netto-Zielen Skeptisch sehen manche Europaabgeordnete auch, dass die Staats- und Regierungschefs ein Netto-Ziel vereinbart haben. Wenn nachhaltige Forstwirtschaft der Atmosphäre CO2 entzieht, soll das auf Emissionen angerechnet werden können. Umweltverbände sehen damit die Gefahr, dass Ziele aufgeweicht werden könnten.

Die Verschärfung des gemeinsamen EU-Klimaziels bedeutet allerdings nicht, dass jeder Mitgliedstaat klimaneutral sein wird. Die Lastenteilung zwischen den Mitgliedern war in der Nachtsitzung bereits ein Streitpunkt und birgt in den kommenden Monaten erhebliches Konfliktpotential. Außerdem muss der Emissionshandel neu geregelt werden. Aus deutscher Sicht brisant: Ein höheres globales CO2-Limit bedeutet Nachbesserungen bei den Emissionslimits für Pkw - zum Ärger der deutschen Automobilhersteller.

Nebenrolle für den Brexit Der Brexit spielte auf dem EU-Gipfel - obwohl die harte Variante zum Jahresende droht - eine Nebenrolle. Kommissionspräsidentin von der Leyen informierte die Staats- und Regierungschefs über den Besuch des britischen Ministerpräsidenten Boris Johnson Mitte vergangener Woche und unterstrich, dass die Positionen Großbritanniens und der EU immer noch voneinander abwichen. Der Tagesordnungspunkt habe auf dem Gipfel gerade einmal acht Minuten Zeit eingenommen, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Ein klarer Wink in Richtung London, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf Themen beschränken wollten, die ihnen wirklich wichtig sind.

Die Autorin ist Korrespondentin der "Wirtschaftswoche" in Brüssel.