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Felix Klein : »Hier hilft nur Druck«

Der Antisemitismusbeauftragte fordert, das Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet schnell zu verabschieden

22.03.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
5 Min

Herr Klein, im Dezember wurde der Attentäter von Halle zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt, er schmiss noch am letzten Prozesstag einen Aktenordner in Richtung der Nebenkläger. Ist es nicht frustrierend zu sehen, dass der Prozess das Weltbild des Angeklagten überhaupt nicht ins Wanken gebracht hat?

Das ist typisch, denn Rechtsextreme haben oft ein abgeschlossenes Weltbild. Hass ist eben keine Meinung, und wenn eine bestimmte Schwelle der Radikalisierung überschritten ist, helfen Diskussionen nicht mehr. Da haben wir nur noch repressive Elemente wie das Strafrecht zur Verfügung, um Antisemitismus zu bekämpfen.

Es gab nach dem Prozess vereinzelt Kritik, dass die Urteilsbegründung die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für solche Taten zu wenig betont habe. Verstehen Sie das?

Ich verstehe das Bedürfnis besonders der Betroffenen, klarstellen zu wollen, dass Antisemitismus sich in einem gesellschaftlichen Umfeld bewegt. Man darf aber auch nicht zu viel von einem Gerichtsverfahren erwarten. Ich hatte schon den Eindruck, dass die Verhandlungsführung sehr souverän war und der Täter immer wieder gestoppt wurde, wenn er seine hasserfüllten Parolen platzieren wollte. Letztlich hat der Prozess ja auch eine erneute gesellschaftliche Debatte über die Hintergründe von Antisemitismus ausgelöst.

2019 sind die antisemitischen Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent gestiegen, auf rund 2.000. Wie erklären Sie diesen Anstieg?

Zum einen ist die zunehmende Verrohung vor allem im Internet Besorgnis erregend. Eine Vielzahl der Straftaten findet im Internet statt: Holocaust-Leugnung, Beleidigungen. Die Menschen trauen sich heutzutage wieder, Dinge zu sagen, die sie bisher nur gedacht haben, und dies in einer Form, die eine strafrechtliche Relevanz besitzt. Auf der anderen Seite zeigt der Anstieg möglicherweise auch, dass Betroffene und Zeugen antisemitische Straftaten stärker als bisher bei der Polizei anzeigen. Dazu ermutige ich die Menschen auch immer wieder, nur so kann sich etwas verändern.

Nun ist die Bundesregierung auf administrativer Ebene ja nicht untätig: Es gibt seit 2018 das Amt des Antisemitismusbeauftragten, Bund-Länder-Arbeitsgruppen, regelmäßige Berichte. Bald soll es eine neue nationale Strategie gegen Antisemitismus geben. Welche Veränderungen erhoffen Sie sich davon?

Ziel ist, dass die vielen staatlichen Akteure im Kampf gegen Antisemitismus noch besser vernetzt und aufeinander abgestimmt agieren. Ein Großteil der Maßnahmen liegt in der Zuständigkeit der Länder. Ich erhoffe mir weitere Impulse dafür, wie die verschiedenen Maßnahmen, die präventiven und die repressiven, besser ineinandergreifen können. Aber: Der Staat allein kann es nicht richten. Wir brauchen auch eine starke Zivilgesellschaft, die einschreitet, wenn sich Antisemitismus bemerkbar macht. Deshalb wollen wir auch deren Akteure auffordern, noch stärker aktiv zu werden.

Müssen Hass und Hetze im Netz nicht noch viel stärker verfolgt werden als es bisher geschieht?

Auf jeden Fall. Es ist äußerst wichtig, dass das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität jetzt vom Bundestag rasch verabschiedet wird. Damit hätten wir wirklich ein erfolgversprechendes Instrument, weil es Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet, strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt zu melden. Das ist absolut der richtige Weg. Hier hilft nur Druck.

Die Corona-Pandemie hat Verschwörungstheorien, auch antisemitischen, enormen Auftrieb gegeben. Mit sachlichen Argumenten kann man diesen aber gar nicht begegnen.

Trotzdem müssen wir diese teilweise völlig absurden Behauptungen dekonstruieren. Wir sind zwar schon gut aufgestellt, was die Erinnerung an den Holocaust angeht. Aber wir brauchen auch eine Strategie, wie wir junge Leute erreichen können, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die in die Schulen gehen. Die Schulen spielen eine zentrale Rolle beim Kampf gegen Antisemitismus, hier muss der Grundstein gelegt werden für demokratisches Denken.

Die stärkste Bedrohung geht klar von Rechtsextremisten aus, aber auch von muslimischem oder linksextremistischem Antisemitismus fühlen sich Juden bedroht. Muss eine Strategie gegen Antisemitismus stärker differenzieren?

Ich warne vor einer Hierarchisierung. Natürlich kommt die weitaus größte Zahl antisemitischer Straftaten aus dem rechten Spektrum, dennoch halte ich den linken oder islamistischen Antisemitismus für nicht weniger gefährlich. Im Detail unterscheiden sich etwa die Instrumente gegen israelbezogenen oder islamistischen Antisemitismus aber natürlich von jenen, die der Verharmlosung des Holocaust entgegengesetzt werden.

Letzten Sommer hat sich der Bundestag klar gegen die BDS-Kampagne zum Boykott israelischer Produkte ausgesprochen, woraufhin es zu Ausladungen prominenter Gäste von Kulturveranstaltungen gekommen ist, weil diese mit BDS sympathisierten. Sehen Sie die freie Debatte in Gefahr?

Der Bundestag hat dadurch vor allem ein Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und auch mit Israel gesetzt und die BDS-Kampagne ja nicht verboten. Die jüdische Gemeinschaft sieht in ihrer großen Mehrheit die Kampagne als Gefahr und wir wollen doch jüdisches Leben schützen und fördern. Es wird da eine Einschränkung der Meinungsfreiheit behauptet, die aus meiner Sicht nicht existiert.

Charlotte Knobloch hat am Holocaust-Gedenktag im Bundestag betont, wo Antisemitismus Platz habe, könne jede Form von Hass um sich greifen.

Die Geschichte hat gezeigt, dass Juden oftmals die ersten sind, die diskriminiert und ausgegrenzt werden, es aber nie dabei bleibt. Deswegen ist der Kampf gegen Antisemitismus tatsächlich ein Lackmustest für unsere Gesellschaft. Positiv gedeutet, meint der Satz aber auch: Wenn wir im Kampf gegen Antisemitismus erfolgreich sind, sind wir auch im Kampf gegen andere Formen der Ausgrenzung erfolgreich.

Die Spaltung der Gesellschaft wird immer wieder als Grund genannt für die zunehmende Aggressivität gegenüber dem scheinbar Anderen. Fragt sich unsere Gesellschaft ernsthaft genug, was die Ursachen für diese Spaltung sind?

Das ist eine ganz entscheidende Frage. Diese Fragmentierung äußert sich auf vielen Ebenen, sie betrifft die ganze Gesellschaft. Ich glaube, es wird zu wenig danach gefragt, was es bedeutet. Hier muss die Politik mehr Angebote machen, um den Wert des gesellschaftlichen Zusammenhalts stärker zu betonen.

In diesem Jahr wird mit vielen Veranstaltungen 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert, es soll sichtbar gemacht werden. Alltag vieler Jüdinnen und Juden ist aber, dass diese Sichtbarmachung sie eher gefährdet.

Ich verstehe die Sorge und sie ist ja nicht aus der Luft gegriffen. Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, dass Polizeiwagen jüdische Einrichtungen schützen müssen. Aber ich denke, dieses Themenjahr ist genau die richtige Strategie, um jüdisches Leben als Teil der deutschen Vielfalt und Normalität zu präsentieren und so Vorurteile abzubauen. Nur, was man kennt, kann man stärker wertschätzen.

Das Gespräch führte Claudia Heine.

Felix Klein ist Jurist und Diplomat. Seit 2018 ist er Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.