Piwik Webtracking Image

sPurenSUCHE : Am Heiligen Sand von Warmaisa

In Worms konnte die jüdische Gemeinde bis zur Shoah auf eine 1.000-jährige Geschichte zurückblicken

22.03.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
3 Min

Ein Zauber geht von diesem Ort aus: Eingezwängt zwischen einer Bahnlinie und dem Innenstadtring des Kfz-Verkehrs, hüllt er den Besucher ein in eine zeitlose Stille, entrückt von Lärm und Hektik. Der "Heilige Sand" in Worms ist der älteste am Ort erhaltene Judenfriedhof Europas und eine der ehrwürdigsten Stätten des Kontinents. Der älteste Grabstein stammt von 1058/59; insgesamt stehen rund 2.500 aus dem 11. bis 20. Jahrhundert auf dem Friedhof, der trotz zahlreicher Pogrome nie zerstört wurde, derzeit aber leider für Individualbesucher geschlossen ist.

Worms ist keine Großstadt, kann aber auf große Historie zurückblicken. Als "Nibelungen-Stadt" Schauplatz des gleichnamigen Mittelalter-Dramas, wurde hier etwa mit dem "Wormser Konkordat" von 1122 zur Beilegung des Investiturstreits zwischen Kaiser und Papst ebenso Weltgeschichte geschrieben wie 1521 mit Martin Luthers Auftritt vor Kaiser und Reich. Als "Klein-Jerusalem", wie die Stadt am Rhein einst auch genannt wurde, ist sie weniger bekannt, obwohl ihre in der Shoah ausgelöschte jüdische Gemeinde einst bedeutendes Zentrum jüdischen Lebens war und eine rund 1.000-jährige, ungewöhnlich kontinuierliche Geschichte aufwies.

Die ältesten Belege einer jüdischen Ansiedlung in Warmaisa, so der hebräische Name, finden sich aus der Zeit um 960. Im 11. Jahrhundert war Rabbi Salomo ben Isaak, "Raschi" genannt, Schüler der Wormser Talmud-Schule; noch heute werden seine Bibel- und Talmudkommentare studiert. 1272 entstand der "Wormser Machsor", ein Gebetbuch, das den ältesten schriftlichen Beleg der jiddischen Sprache enthält und später bis zur Vernichtung der Wormser Gemeinde in deren Besitz war. Fast 600 Jahre später wurde in Worms mit Ferdinand Eberstadt 1849 erstmals in Deutschland ein Jude Bürgermeister.

Vom Heiligen Sand gelangt man am nahen Kaiserdom vorbei oder dem Verlauf der dazwischen stehenden Stadtmauer folgend zum einstigen Judenviertel. Nach dem Pestpogrom von 1349 bildeten seine zwei Straßen bis 1792 das Ghetto, in dem alle Juden der Stadt wohnen mussten. Um die 400 Juden wurden bei diesem Pogrom ermordet, und es war in Worms weder der erste noch der letzte: Zirka 800 fielen allein dem Kreuzzugspogrom von 1096 zum Opfer.

Wo in dem an die Stadtmauer angelehnten Viertel die "Hintere Judengasse" auf die "Judengasse" stößt, steht die Synagoge, mit den Vorgängerbauten eine der ältesten Deutschlands, daneben die "Mikwe", das um 1185/86 gebaute und unzerstört gebliebene Frauenbad, nahebei das Jüdische Museum im 1982 erbauten "Raschi-Haus", wo einst das Lehrhaus der Gemeinde war. Eine erste Synagoge gab es bereits 1034; eine neue seit 1174/75. Mehrfach erzwangen Pogrome und Kriegsschäden Instandsetzungen; bei der Pogromnacht 1938 wurde das Gotteshaus niedergebrannt, bis 1961 wieder originalgetreu aufgebaut und ist seitdem im Besitz der Jüdischen Gemeinde von Mainz als Rechtsnachfolgerin der im NS-Terror umgekommenen Wormser Gemeinde. Sie hatte 1933 etwa 1.100 Mitglieder; rund 440 starben in der Shoah. 2010 überstand die Synagoge einen Brandanschlag ohne größeren Schäden.

Von der Mainzer Gemeinde wird das Gebäude weiter für Gottesdienste genutzt; doch auch wenn es wieder jüdisches Leben in Worms gibt, bleibt die Leerstelle, die der Verlust der Gemeinde gerissen hat, schmerzhaft spürbar. 2020 wurden die Stätten jüdischen Lebens in Worms, Mainz und Speyer, deren Gemeinden sich einst zum "SchUM"-Verbund zusammengeschlossen hatten und als Wiege des aschkenasischen Judentums gelten, für die Welterbeliste der Unesco nominiert; die Entscheidung wird noch in diesem Jahr erwartet.