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Grundgesetz : Zum Wohl der Kinder

Fraktionen streiten über Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung

19.04.2021
2023-08-30T12:39:35.7200Z
4 Min

Eine Änderung des Grundgesetzes ist auch für den Bundestag keine alltägliche Angelegenheit. Sie ist "auch im dichten Parlamentskalender eine Besonderheit", wie es Stephan Thomae (FDP) vergangene Woche in der Debatte über die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung formulierte. Dies gilt "zumal, wenn es sich um den Grundrechtsteil handelt", wie Volker Ullrich (CSU) ergänzte. Dabei sind die Hürden für eine Verfassungsänderung hoch: Sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat müssen sie jeweils mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Im Bundestag müssen also mindestens 473 Parlamentarier der Neuerung zustimmen; die Koalition von Union und SPD mit ihren knapp 400 Stimmen bräuchte mithin mindestens die FDP (80 Stimmen) mit im Boot oder die Linken (69) nebst Grünen (67); im Bundesrat wiederum ist ohne die Grünen mit ihrer Regierungsbeteiligung in elf Ländern an eine Zweidrittelmehrheit gar nicht zu denken.

Dabei scheinen die Chancen der Kinderrechte für einen erfolgreichen Hürdenlauf zum Verfassungsrang auf den ersten Blick so schlecht nicht zu sein: Mit Ausnahme der AfD plädieren alle Fraktionen für eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Gleichwohl wird dazu noch so manches Hindernis zu nehmen sein; das zeigte die breite Oppositionskritik an der Vorlage der Bundesregierung.

Die will mit ihrem Gesetzentwurf (19/28138) "die Grundrechte von Kindern im Text des Grundgesetzes besser sichtbar machen", wie es in der Vorlage heißt, und zwar in dessen Artikel 6 (Ehe, Familie, Kinder). So sollen kindesspezifische Aspekte wie das Kindeswohlprinzip und das Anhörungsrecht des Kindes im Verfassungstext betont und dadurch die Rechtstellung von Kindern und Familien unterstrichen werden. Zugleich sollen dadurch dem Entwurf zufolge die grundrechtlichen Interessen anderer Personen nicht geringer veranschlagt werden. Insbesondere sei es ein Kernanliegen der Grundgesetzänderung, Elternrecht und -verantwortung nicht zu beschränken.

Auf der Tagesordnung standen zugleich ein frisch eingebrachter FDP-Gesetzentwurf zur Änderung des Verfassungsartikels 6 (19/28440) sowie ein Grünen-Entwurf "zur Stärkung der Kinderrechte" im Grundgesetz (19/10552) vom Juni 2019, in dem auch Die Linke einen Gesetzentwurf zur "Verankerung von Kinderrechten" in der Verfassung (19/10622) vorgelegt hatte.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte, mit dem Regierungsentwurf werde im Grundgesetz als dem "Mittelpunkt unseres Rechtssystems" ausdrücklich festgeschrieben, dass die Rechte der Kinder "zu achten und zu schützen" sind, was vor allem das Recht umfasse, sich zu "eigenverantwortlichen Persönlichkeiten" zu entwickeln. Zweitens müsse überall da, wo Kinder betroffen sind, deren Wohl "angemessen" berücksichtigt werden. Und schließlich werde der Anspruch des Kindes auf rechtliches Gehör im Grundgesetz verankert, damit Kinder sich äußern können, wenn Gerichte oder Behörden Entscheidungen über ihre Lebenssituation treffen.

Zugleich mache der Entwurf unmissverständlich klar, dass man "keine Rechte von den Eltern hin zum Staat" verschiebe, fügte die Ressortchefin hinzu und sprach von einer "historischen Chance, etwas ganz Wichtiges und Wertvolles für unsere Kinder zu tun". Diese Chance solle man unbedingt ergreifen, appellierte Lambrecht "an die Kompromissbereitschaft aller" im Haus.

Fabian Jacobi (AfD) kritisierte, die von der Regierung vorgeschlagenen Grundgesetzergänzungen enthielten lediglich Verweise auf ohnehin bestehende Rechte oder blieben hinter der geltenden Kinderrechtskonvention zurück. "Was Sie da vorschlagen", bilanzierte er, "ist überflüssig, also sollten wir das bleiben lassen."

FDP-Mann Thomae fand es "ein Stück zu wenig", lediglich festzuschreiben, dass der Staat das Kindeswohl angemessen berücksichtigen muss - das müsse der Staat ohnehin immer tun. "Wenn wir von Kinderrechten sprechen, dann müssen auch Kinderrechte drin sein", hob Thomae hervor. Dabei bekräftigte er, dass die "Erziehungshoheit der Eltern" nicht angetastet werden dürfe: Man wolle nicht den Staat, sondern die Kinder stärken, ohne Elternrechte zu schwächen.

Norbert Müller (Linke) monierte, der Regierungsentwurf trage den Stempel der Union, "die eigentlich keine Kinderrechte im Grundgesetz will". Die UN-Kinderrechtskonvention nenne das Kindeswohl einen "vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt" und teile die Kinderrechte im Wesentlichen in ein Recht auf Beteiligung, ein Recht auf Förderung und ein Recht auf Schutz auf. Genau diese vier Aspekte habe die Regierung jedoch nicht umgesetzt.

Auch Ekin Deligöz (Grüne) beklagte, der Gesetzentwurf der Bundesregierung falle hinter die UN-Kinderrechtskonvention zurück, zu der sich Deutschland völkerrechtlich verpflichtet habe. Auch falle er zurück hinter die EU-Grundrechtecharta und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Regierungskoalition beschränke sich "auf eine überflüssige Wiederholung dessen, was sowieso schon in unserer Verfassung steht".

»Guter Schritt« Thorsten Frei (CDU) verteidigte die Regierungsvorlage als "guten Schritt in die Zukunft". Das Kindeswohl sei eben nicht vorrangig zu berücksichtigen, sondern angemessen, weil das Grundgesetz "keine Hierarchie der Grundrechte für die einzelnen Grundrechtssubjekte kennt". So könne es etwa sein, dass man einen Kinderspielplatz verkleinern muss, um ein Krankenhaus vergrößern zu können. Dann sei es richtig, die einzelnen Interessen gegeneinander abzuwägen. Wichtig sei seiner Fraktion zudem, das "fein austarierte Dreiecksverhältnis von Kindern, Familie und Staat" nicht anzugreifen. Dabei stünden Kinder und ihre Eltern nah beieinander, während der Staat "in einiger Entfernung das Wächteramt übernimmt, falls das Kindeswohl verletzt wird".

Katja Mast (SPD) bekannte sich zum Ziel, "Deutschland zum kinderfreundlichsten Land in Europa zu machen". Sie versicherte, dass die SPD "jeder Verbesserung an diesem Entwurf" im Sinne der Kinder und ihrer Familien zustimmen werde. Für eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat brauche man aber "neben uns die CDU/CSU, Die Linke, die FDP und die Grünen".