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KIRCHEN : Unerfüllter Verfassungsauftrag

Experten plädieren für Ablösung der sogenannten Staatsleistungen

19.04.2021
2023-08-30T12:39:35.7200Z
2 Min

Mehr als 500 Millionen Euro jährlich erhalten die katholische und die evangelische Kirche als Entschädigung für die Trennung der vermögensrechtlichen Entflechtung von Kirche und Staat. Dass der seit 1919 bestehende Auftrag der Weimarer Reichsverfassung zur Ablösung dieser sogenannten Staatsleistungen nun im Bundestag angegangen wird, haben die Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses in der vergangenen Woche ausnahmslos begrüßt. Der Bund müsse hierfür die Grundsätze gesetzlich vorgeben, zahlen müssten allerdings die Bundesländer. Die Experten bewerteten Gesetzentwürfe, die die AfD-Fraktion (19/19649) und die Fraktionen der FDP, der Linken und Grünen (19/19273) in die parlamentarische Beratung eingebracht hatten.

Der Rechtsanwalt Michael Adam rechnete vor, dass der Gesetzentwurf der AfD zu einer Entschädigung von drei Milliarden Euro führen würde bei einem Auslaufen der Leistungen bis Ende 2026. Nach den Vorstellungen der Liberalen, Linken und Grünen kämen mindestens 20 Milliarden Euro zusammen, weil danach die Staatsleistungen noch 20 Jahre weiterfließen würden und eine Ablösung noch obendrauf käme. Ein Grundsätzegesetz habe zumindest zwei Punkte zu regeln: Der Bund müsse festlegen, welche Rechte von der Kompensation erfasst werden sollen, und habe die maximale Höhe des sich daraus ergebenden Kompensationswerts zu bestimmen. Diese Grundsätze der Ablösung könnten nicht auf Landesebene mittels einvernehmlicher Lösungen mit den Kirchen verändert werden.

Neutralitätsgebot Der Rechtswissenschaftler Claus Dieter Classen von der Universität Greifswald argumentierte, finanzielle Dauerleistungen des Staates an die Kirchen stünden in einem gewissen Gegensatz zur Neutralität des Staates in religiösen Fragen und sollten beendet werden. Ein schwerer Nachteil des AfD-Gesetzentwurfs sei, dass er die Leistungen schlicht auslaufen lassen wolle. Das genüge nicht der verfassungsrechtlichen Vorgabe. Am Entwurf von FDP, Linken und Grünen bemängelte er eine fehlende Definition der Staatsleistungen. Dies berge die Gefahr divergierender Regelungen in den Ländern. Auch der Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Ansgar Henske, äußerte erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den AfD-Vorschlag. So lasse sich die Ablösung nicht einfach durch eine geringfügig verlängerte Laufzeit der Staatsleistungen erfüllen.

Der Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig von der Universität Göttingen machte klar, dass die Ablösung eine erhebliche fiskalische Anstrengung verlange. Dies erkläre unter anderem, warum sie bisher unterblieb. Mit dem Vorstoß von FDP, Linken und Grünen liege erstmals ein Gesetzentwurf vor, der sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben orientiere. Das gravierendste Problem dabei sei die Wertbestimmung der Entschädigung. Auch der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer bewertete den Gesetzentwurf der drei Fraktionen als verfassungskonform.

Die Rechtswissenschaftlerin Diana zu Hohenlohe von der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien betonte, ein Grundsätzegesetz müsse nicht nur eine einheitliche Ablösepraxis sicherstellen, sondern auch die betroffenen Religionsgemeinschaften vor einer Überforderung schützen.