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Coronakrise : Bund zieht die Notbremse

Bundesregierung strebt bundesweit einheitlichen Lockdown an

19.04.2021
2023-08-30T12:39:35.7200Z
4 Min

Die geplante einheitliche "Notbremse" im Kampf gegen die steigenden Corona-Infektionszahlen ist bei der Opposition auf heftige Gegenwehr gestoßen. Redner von FDP, Linken und AfD warfen der Regierung am Freitag in einer von harschen Zwischenrufen geprägten Debatte vor, den Bürgern nicht zu rechtfertigende Auflagen zuzumuten. Auch die Grünen kritisierten die Vorlage. Union und SPD verteidigten den Gesetzentwurf, zeigten sich aber offen für Änderungen. Das sogenannte Vierte Bevölkerungsschutzgesetz (19/28444) soll in dieser Woche beschlossen werden.

Künftig soll bundesweit eine automatische Notbremse ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 gelten. Die Schutzvorkehrungen werden in einem neuen Paragrafen 28b des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) konkret aufgeführt, darunter Kontaktbeschränkungen sowie Auflagen für Freizeiteinrichtungen, Geschäfte, Kultur, Sport oder Gaststätten. Vorgesehen ist auch eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr. Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 200 soll ein Verbot für Präsenzunterricht an Schulen gelten.

Die Bundesregierung wird dazu ermächtigt, bei einer Inzidenz von über 100 durch Rechtsverordnungen Gebote und Verbote zu erlassen. Solche Rechtsverordnungen bedürfen der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.

Kräfte bündeln Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: "Es führt kein Weg daran vorbei, wir müssen die dritte Welle der Pandemie bremsen und den rapiden Anstieg der Infektionen stoppen." Dazu müssten die Kräfte von Bund und Ländern besser gebündelt werden. Die mit den Ländern vereinbarte Notbremse sei künftig nicht mehr Auslegungssache, sondern greife automatisch. Die Kanzlerin räumte ein, dass damit harte Einschränkungen verbunden seien und nannte die geplanten nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Die Einwände dagegen nehme sie ernst, es gehe aber darum, Kontakte und Mobilität zu reduzieren, darunter "abendliche Besuchsbewegungen". Merkel betonte, die Pandemie habe gezeigt, dass das Virus keine Halbherzigkeiten verzeihe. "Es verzeiht auch kein Zögern, das Virus versteht nur die Sprache der Entschlossenheit."

Die AfD-Fraktion hielt der Bundesregierung schwere Fehler und Machtmissbrauch zulasten der Bürger und der Wirtschaft vor. Mit Blick auf den Gesetzentwurf sagte Fraktionschefin Alice Weidel, noch nie habe es eine Bundesregierung gewagt, "in so wenigen Sätzen so viele Angriffe auf die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger, auf Rechtsstaatlichkeit und demokratische Prinzipien unterzubringen". Die vorgeschlagene Ergänzung des IfSG sei "ein alarmierendes Dokument obrigkeitsstaatlichen Denkens" und offenbare tiefes Misstrauen gegenüber Bürgern und demokratischen Institutionen. Weidel rügte: "Sie misstrauen den Bürgern, deswegen wollen Sie sie tagsüber gängeln und nachts einsperren."

Ausgangssperren Die Regierung lege zudem die Axt an die föderalen Wurzeln der Republik und entmachte Ministerpräsidenten, Landräte und Bürgermeister. Ausgangsperren nannte Weidel "unverhältnismäßig und verfassungswidrig", zudem nutzlos. Die festgelegten Inzidenzen seien willkürlich. Und wenn jemand Widerspruch anmelde, werde das als Verschwörungstheorie abgetan. Harsche Kritik kam auch von Linksfraktionschef Dietmar Bartsch, der den Gesetzentwurf als Beleg dafür wertete, dass die Pandemiebekämpfung über die Bund-Länder-Gespräche gescheitert sei. Die Bundesregierung habe mit ihrem verfehlten Krisenmanagement das Land in die dritte Welle manövriert. Bartsch sagte, es sei inakzeptabel, dass der Bundestag mit dem Gesetz nicht gestärkt, sondern faktisch entmachtet werde und die Regierung sich einen Blankoscheck ausstellen wolle. "Das ist keine Stärkung des demokratischen Verfahrens, sondern eine Abrissbirne des Parlamentarismus." Er warnte insbesondere vor den Folgen des Lockdowns für junge Leute. "Kinder sind der blinde Fleck in der Pandemiebekämpfung." Hingegen sei das Verständnis für die Wirtschaft stets groß.

Nach Ansicht von FDP-Chef Christian Lindner wirft der Entwurf verfassungsrechtliche Fragen auf. Die Ausgangssperre sei rechtlich und praktisch fragwürdig. So würde künftig auch ein geimpftes Ehepaar daran gehindert, nach 21 Uhr vor die Tür zu treten. Lindner warnte, niemand könne ein Interesse daran haben, das die Novelle vor dem Bundesverfassungsgericht scheitere und verlangte: "Es muss nun schnell, wirksam und rechtssicher gehandelt werden."

Katrin Göring-Eckardt (Grüne) forderte einen niedrigeren Referenzwert als 100. Den für Schulen geltenden Inzidenzwert von 200 lehnte sie auch ab. Sie rügte, dass der Entwurf nicht im Eilverfahren durch das Parlament geht und mahnte: "Es kommt jetzt auf jeden Tag an."

Redner der Koalitionsfraktionen forderten die Opposition auf, sich konstruktiv zu beteiligen. Bärbel Bas (SPD) sagte, viele Menschen erwarteten bundeseinheitliche Regelungen und keinen Flickenteppich. Sie forderte die Länder auf, schon jetzt von der Notbremse Gebrauch zu machen. Thorsten Frei (CDU) appellierte an die Bürger, nicht den Mut zu verlieren, wo Licht am Ende des Tunnels erkennbar sei. Er wandte sich entschieden gegen die Darstellung, wonach die Rolle des Bundestages geschmälert werde. Der Entwurf gebe dem Parlament so viele Möglichkeiten wie nie. "Mehr Parlamentarismus geht doch überhaupt nicht."