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TALIBAN : Die selbsternannten Gotteskrieger

Von Pakistan unterstützt errichteten sie in den 1990er Jahren ihre brutale Herrschaft. Für eine Mäßigung spricht wenig

13.09.2021
2023-08-30T12:39:41.7200Z
3 Min

Im Frühjahr 1994 machten sie im Süden Afghanistans erstmals von sich Reden - die Taliban. Unter Führung ihres Kommandeurs Mullah Omar wollten sie für Gerechtigkeit und Ordnung gemäß der islamischen Gesetze sorgen. Unterstützung erhielten die Taliban von Stammesfürsten der Paschtunen, die in ihnen eine willkommene Hilfe gegen Präsident Burhanuddin Rabbani, einen Tadschiken, sahen. Überraschend schnell eroberte Omars schlecht bewaffnete und militärisch unausgebildete paschtunische Truppe fast ganz Afghanistan, auch weil kriegserfahrene Feldkommandeure auf ihre Seite wechselten. Vor allem aber dürfe die Rolle des pakistanischen Militärs nicht unterschätzt werden, betont einer der besten Kenner der Taliban, der pakistanische Journalist Ahmed Rashid. Allein dank der Hilfe aus Pakistan hätten die Koran-Schüler siegen können.

Ihren Ursprung haben die Taliban in Koranschulen für afghanische Flüchtlinge in Pakistan. Als eigentliche Geburtshelfer der Taliban gelten der damalige pakistanische Innenminister, der Paschtune Nasirullah Babur, und der Militärgeheimdienst ISI. Die Regierung in Kabul hatte sich zuvor mit dem Iran und Indien verbündet. Aus Sicht Pakistans ein schwerer Fehler.

Im September 1996 marschierten die Taliban schließlich in Kabul ein und etablierten nahezu im ganzen Land ein Terror-Regime. Die tadschikischen und usbekischen Milizen verließen die Hauptstadt Richtung Norden, um weitere Opfer und Zerstörungen zu verhindern. Dort gründeten sie die sogenannte "Nordallianz", die sich den Taliban widersetzte.

"Die aktuelle Aggression, die Pakistan unter dem Decknamen ,Talib' vorantreibt, wird in Kürze ihr Ende finden", sagte der tadschikische Milizenführer Achmed Schah Massud noch im Oktober 1998 im Interview mit dem Autor: "Wir führen wieder einen Widerstandskrieg gegen die Aggression, dieses Mal geht sie vom pakistanischen Militär aus. Es ist ihnen gelungen, die Afghanen im Süden unseres Staates zu täuschen. Mit Gottes Hilfe wird auch dieser Krieg vorübergehen, genauso wie die Aggression der Sowjetunion. Unsere Geschichte hat des Öfteren bewiesen, dass die Afghanen Interventionen von außen nicht dulden."

Dessen ungeachtet rief Mullah Omar in Kandahar das "Islamische Emirat" aus, sich selbst machte er zum zweiten "Kalifen". Das "Paschtunwali", der traditionelle Verhaltenskodex der Paschtunen, bestimmte seitdem das Zusammenleben in weiten Teilen des Landes. Es handelt sich um ein mittelalterliches Regelwerk, das Mädchen und Frauen massiv unterdrückt.. Sie durften weder die Schule noch eine Universität besuchen, eine Berufstätigkeit war ausgeschlossen. Stattdessen mussten sie eine Burka tragen und aus dem öffentlichen Leben verschwinden. Unterhaltung und Kultur waren verboten und fanden nicht mehr statt. In Kabul hatten gerade mal drei Regierungsmitarbeiter Zugang zum Internet. Und über das Bildungsniveau der Taliban-Minister wusste Ahmed Rashid zu berichten, dass die "Intellektuellen" unter ihnen immerhin drei Klassen einer Koranschule besucht hatten.

Mit kleinen mobilen Einheiten kontrollierten die Taliban das Land, unterstützt wurden sie von Mullahs und lokalen Feldkommandeuren. Finanziert wurde das Regime vor allem durch den Verkauf von Opium beziehungsweise Heroin.

Augenzeugen berichteten von Massen-Hinrichtungen. Zu den Erziehungsmethoden der Taliban gehörte es, Kinder bei öffentlichen Hinrichtungen in der ersten Reihe zu platzieren. Die Männer mussten einen Bart tragen, ansonsten wurden sie ausgepeitscht. Die Brutalität der Steinzeit-Islamisten führte zu einer Fluchtwelle der im Lande noch verbliebenen Ärzte, Krankenschwestern und Lehrkräfte. International errang das Taliban-Regime traurige Berühmtheit im Frühjahr 2001, als es die 1.500 Jahre alten Buddha-Statuen von Bamiyan sprengte. Ungerührt verkündete Omar, die Muslime sollten stolz auf die Vernichtung der "unislamischen Götzenbilder" sein.

Massuds Warnung Noch im April 2001 warnte Achmed Schah Massud Europäer und Amerikaner davor, Pakistan weiter zu unterstützen und die Taliban zu dulden. Diese Politik werde es der Terrororganisation Al-Qaida, die in Afghanistan Stützpunkte unterhielt, ermöglichen, neue Terrorakte zu verüben. Am 9. September 2001 jedoch verstummte der "Löwe aus dem Pandschir-Tal". Massud wurde Opfer eines Anschlags. Nur zwei Tage danach erschütterten die Terroranschläge von 9/11 die Welt in ihren Grundfesten.

Die sich anschließende Intervention der Amerikaner und der westlichen Welt in Afghanistan unter den Begriffen "humanitäre Intervention" und "Nation Building" konnte den Konflikt zwischen säkularen Kräften und religiösen Fundamentalisten nicht entschärfen. 20 Jahre später können die Taliban nach erprobten Mustern vorgehen: Sie inszenieren sich als Sieger über die fremden Besatzungsmächte und deren korrupte und gottlose Regierungen. Sie versprechen Ordnung und die Wiederherstellung islamischer Traditionen. Während sie sich offiziell hinter äußerst vagen Bekenntnissen zur Einhaltung der Menschenrechten verstecken, lassen Berichte von Menschenrechtsorganisationen das Gegenteil befürchten. Sicher ist: Die Frauen und Mädchen sind die ersten Opfer des Machtwechsels in Kabul. .