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traumata : Krieg im Kopf

Viele Soldaten werden im Einsatz mit schrecklichen Erlebnissen konfrontiert, die lange nachwirken und die Psyche schwer schädigen können

13.09.2021
2023-08-30T12:39:41.7200Z
4 Min

Die Wand, hinter der sich Kriegstraumata verbergen, ist dick. Soldaten, die im Einsatz furchtbare Dinge erlebt haben, ziehen sich oft zurück und versuchen, den Schrecken selbst zu verarbeiten, bevor ihnen klar wird, dass sie professionelle Hilfe brauchen. Viele Betroffene sind nicht in der Lage, die extreme Belastungssituation richtig einzuordnen. Sie durchleben ein Gefühlschaos, Ängste, Panik, Aggressionen, Vermeidungsverhalten, aber sie brauchen mitunter lange, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Schwere Gefechte Seit Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt wurden, häuften sich Berichte über die extremste Form der psychischen Verwundung, die sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Der Reservistenverband wie auch der Bund Deutscher Einsatzveteranen (BDV) kennen etliche Schicksale von Soldaten, die mit schweren psychischen Schäden aus dem Einsatz zurückgekommen sind und noch Jahre nach den Vorfällen oder gar weit nach ihrer Dienstzeit mit den Folgen zu kämpfen haben.

Der Reservistenverband berichtet beispielhaft von dem 26 Jahre alten Militärpolizisten, der 2010 in der Nähe von Kundus in Afghanistan Wache hält und in ein Scharmützel mit den Taliban verwickelt wird. Raketen verfehlen ihn knapp, mehrere Kameraden werden getötet oder verletzt. Der junge Feldwebel muss auch einen Zwischenfall untersuchen, bei dem ein Armeefahrzeug versehentlich mit schwerem Geschütz beschossen wurde. "Faustgroße Löcher im Blech und Hackfleisch im Innern", so erinnert er sich an diese Aufgabe. Insgesamt 130 Tage verbringt der Soldat im Kampfgebiet, bedroht von Sprengsätzen, Überfällen und Hinterhalten.

Angst und Wut Psychisch völlig aufgerieben kommt der Mann nach Deutschland zurück und verkriecht sich zu Hause, aber die Kriegsbilder wird er nicht mehr los. Er leidet an Ängsten, schläft schlecht, ist gereizt, erlebt Wutausbrüche und Zitteranfälle und bringt sich selbst ernste Verletzungen bei. Bei der Befragung durch einen Militärpsychologen bricht er schließlich zusammen und beginnt eine Therapie. Der Fall steht exemplarisch für viele andere, die ähnlich gelagert sind und in eine Diagnose PTBS münden. Nach Einschätzung des Veteranenverbandes ist das, was Soldaten in Afghanistan erlebt haben, Krieg, egal wie die Einsätze in der Politik offiziell genannt wurden. Viele Soldaten seien krank zurückgekommen, manche benötigten langjährige Therapien, um sich in der Gesellschaft wieder zurechtzufinden. Auch die Gefahr der "moralischen Verwundung" steige mit der Intensität der Einsätze.

Flashbacks Psychotherapeuten unterscheiden akute Belastungsreaktionen (ABR), die meistens nach einiger Zeit wieder abklingen, von einer PTBS, die über lange Zeit bestehen kann. Zu den ABR-Symptomen gehören Gefühlsschwankungen, Albträume, Angstzustände, Herzrasen, übermäßiges Schwitzen, Unruhe oder Erinnerungen in Form von Flashbacks.

Auch bei der PTBS werden die Erinnerungen an die traumatische Situation intensiv nacherlebt und durch Schlüsselreize ausgelöst, etwa Bilder, Menschen, auch Gerüche oder Geräusche. Neben Flashbacks kommt es bisweilen zu Erinnerungslücken, die problematische Situation wird ausgeblendet. Betroffene vermeiden ferner bestimmte Aktivitäten oder Situationen, die an das Trauma erinnern könnten und bei ihnen Stress auslösen. Hinzu kommen Schuldgefühle und Verzweiflung.

Bei der PTBS wird häufig ein sozialer Rückzug beobachtet, der durch Stimmungsschwankungen verstärkt werden kann. Betroffene zeigen ein geringes Interesse an sozialen Aktivitäten, fühlen sich bedroht und verunsichert. Eine PTBS kann lange Zeit andauern oder auch erst nach Jahren auftreten. Die Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung einer PTBS hängt wesentlich mit der Art des traumatischen Ereignisses zusammen: So entstehen PTBS nach Kriegsereignissen deutlich häufiger als etwa nach Unfällen oder Naturkatastrophen. Das Suizidrisiko bei diesen Patienten ist erhöht.

Hilfe durch Spezialisten Bei der Bundeswehr ist die PTBS als ernstzunehmende Problematik längst angekommen. Spezialisten kümmern sich um betroffene Soldaten und bieten professionelle Hilfe an, ambulant und stationär. Mit der Prävention und Behandlung von psychischen Einsatzfolgeschäden befasst sich seit 2010 ein spezialisiertes "Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie / Psychotraumazentrum" am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin. Mit dem deutschen Engagement in Afghanistan hat der Beratungs- und Behandlungsbedarf deutlich zugenommen.

Soldaten sind nach Einschätzung der Bundeswehr einer komplexen Belastungssituation ausgesetzt. Dabei werden nicht nur die Kampfhandlungen als persönliche Bedrohung wahrgenommen, auch moralisch belastende Situationen können prägend sein, wenn Soldaten im Einsatz zum Beispiel Armut, Bürgerkrieg, oder Gräueltaten erleben. Bei der Psychotraumatologie von Soldaten besteht nach Ansicht der Bundeswehr noch erheblicher wissenschaftlicher Forschungsbedarf. Wer aus einem problematischen Einsatz kommt und an sich veränderte Verhaltensweisen wahrnimmt, kann zunächst einmal einen unverbindlichen Online-Test auf PTBS absolvieren.

Schäden aus einem Einsatz, ob physisch oder psychisch, gelten als Wehrdienstbeschädigungen. Wer mit gesundheitlichen Schäden aus dem Einsatz zurückkommt, hat gegebenenfalls Anspruch auf Entschädigung oder Ausgleichsleistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz. Seit 2011 erfasst die Bundeswehr die Zahl der einsatzbedingten psychischen Erkrankungen von Soldaten in einer Statistik. Demnach wurden 2020 insgesamt 301 Fälle registriert, darunter 213 PTBS sowie 88 andere Erkrankungen.

Laut einer Studie sei davon auszugehen, dass etwa drei Prozent aller Soldaten im Einsatz eine PTBS erlitten, aber nur die Hälfte auch diagnostiziert werde, heißt es in der Statistik der Bundeswehr zu psychischen Erkrankungen. Die Dunkelziffer ist hoch, zudem haben viele Fälle von PTBS eine lange Vorlaufzeit zwischen dem prägenden Ereignis und der Diagnose. Mit Aufklärung und Hilfsangeboten sollen die teils dramatischen Einsatzfolgen abgemildert werden.