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Sozialer Wohnungsbau : Große Wohnungssuche

Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt seit Jahren. Die neue Regierung will eine Trendwende einleiten.

13.12.2021
2024-03-11T10:15:27.3600Z
7 Min

Für Melanie Weber-Moritz steht fest: Die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist besorgniserregend. "Fast die Hälfte aller Mieterinnen und Mieter zahlt mehr als dreißig Prozent ihres Haushaltseinkommens für ihre Warmmiete und ist damit finanziell überlastet", sagt die Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbundes. Besonders für einkommensärmere Haushalte, beklagt Weber-Moritz, sei die Mietbelastung "dramatisch hoch".

Foto: picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte

Mit großen Kränen gegen die hohe Nachfrage: 3.500 teils öffentlich geförderte Wohnungen sollen im Süden Hannovers entstehen.

Genau für diese Haushalte sind Sozialwohnungen - auch als öffentlich geförderte Wohnungen bezeichnet - gedacht. Reserviert sind sie für Menschen mit niedrigem Einkommen, die Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) haben. Doch von diesen Wohnungen gibt es immer weniger. Wie die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion ausführte, ist die Zahl der Sozialwohnungen von 2,09 Millionen im Jahr 2006 auf 1,18 Millionen im Jahr 2018 zurückgegangen. Seither ist die Zahl weiter gesunken - der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, in dem kommunale Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften und auch große private Wohnungsunternehmen vertreten sind, schätzt ihre Zahl auf bundesweit nur noch 1,09 Millionen. Zum Vergleich: 1987 waren es allein in Westdeutschland noch 3,9 Millionen gewesen.

Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation: Während es immer mehr Menschen in den städtischen Ballungsräumen schwer fällt, eine für sie bezahlbare Wohnung zu finden, sinkt das Angebot ausgerechnet in dem Segment, das besonders dringend benötigt wird. Das liegt an der Systematik der sozialen Wohnraumförderung. Diese basiert darauf, dass Investoren Fördermittel für den Bau von Sozialwohnungen bekommen und diese im Gegenzug zu einer festgelegten Miete an Berechtigte vermieten. Diese Preisbindung ist jedoch befristet - meist nach 15 bis 30 Jahren läuft die Bindung aus. Anschließend dürfen die Eigentümer die ehemaligen Sozialwohnungen zu marktüblichen Mieten vergeben.

Zu wenig Neubau

Um den Bestand an Sozialwohnungen konstant zu halten, müssten also jedes Jahr genau so viele öffentlich geförderte Wohnungen gebaut werden wie aus der Bindung fallen. Das ist jedoch nicht der Fall. Laut einer Studie, die das Pestel-Institut im Auftrag eines Bündnisses aus Deutschem Mieterbund und Verbänden der Bauwirtschaft erarbeitete, wurden zwischen 2017 und 2019 jährlich im Durchschnitt nur 26.300 statt der benötigten 80.000 Sozialwohnungen fertiggestellt.

Dabei ist es nicht so, dass keine Fördergelder bereitstehen würden. Jährlich stellt der Bund den Ländern rund eine Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau (Neubau und Sanierung) zur Verfügung, wobei diese Summe von 2017 bis 2019 sogar auf gut 1,5 Milliarden Euro aufgestockt wurde. Wie diese Mittel verwendet werden, liegt jedoch in der Hand der Bundesländer, die seit der Föderalismusreform von 2006 für den sozialen Wohnungsbau zuständig sind. Damit wird die Situation kompliziert: Jedes Bundesland hat andere Förderrichtlinien. Manche stellen Investoren zinslose Darlehen zur Verfügung, andere bieten ihnen einen Tilgungszuschuss an. Hinzu kommt, dass einzelne Kommunen ihrerseits zusätzliche Mittel ausreichen.

Neubau-Ziele der Koalition

Doch ob das genügt? Das Pestel-Institut bezweifelt das in seiner Studie. Die hinter der Studie stehenden Verbände fordern deshalb, dass Bund und Länder ab 2022 jährlich fünf Milliarden Euro für den sozialen Mietwohnungsbau ausgeben müssen. Handlungsbedarf sehen auch SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag. Ziel ist es demnach, dass in der neuen Wahlperiode 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen errichtet werden. Wie viel Geld dafür zur Verfügung steht, lässt die Koalitionsvereinbarung jedoch offen. Festgehalten ist lediglich, dass die Koalitionäre "die finanzielle Unterstützung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau inklusive sozialer Eigenheimförderung fortführen und die Mittel erhöhen" wollen.

Hinzu kommt ein weiteres Element. "Wir werden zeitnah", stellen die Ampel-Koalitionspartner in Aussicht, "eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen und so eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen." Eine solche Wohngemeinnützigkeit gab es bereits in der alten Bundesrepublik; sie wurde allerdings im Jahr 1990 abgeschafft. Bereits seit längerem fordern Bündnis 90/die Grünen und auch die Linkspartei ihre Wiedereinführung.

Wohnungsgemeinnützigkeit soll kommen

In der vergangenen Wahlperiode legte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag einen - vom Plenum abgelehnten - Gesetzentwurf vor, in dem sie Eckpunkte einer solchen Wohngemeinnützigkeit formulierte. Demnach sollen Investoren einen Zuschuss von bis zu zwanzig Prozent für jede dauerhaft günstige Wohnung erhalten. Zudem sollen sie von Steuern befreit werden. Im Gegenzug müssen sie die auf diese Weise geförderten Wohnungen an Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen vermieten - wobei die Mieten, anders als im klassischen sozialen Wohnungsbau, unbegrenzt günstig bleiben.

Nicht alle politischen Akteure sind davon überzeugt, dass diese Instrumente genügen, um ausreichend günstigen Wohnraum zu schaffen. Einen weitergehenden Schritt wagte 2020 das Land Berlin, als es den bundesweit beachteten Mietendeckel einführte. Damit griff der rot-rot-grüne Berliner Senat in bestehende Mietverträge ein, indem er auch für Wohnungen, die eigentlich auf dem freien Markt angeboten werden, Mietobergrenzen festlegte. Eine Ausnahme galt lediglich für ab 2014 errichtete Neubauten.


„Die Idee des Mietendeckels war richtig. Deshalb müssen wir jetzt die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen.“
Dirk Behrendt, Berliner Justizsenator (Bündnis 90/Die Grünen)

Doch dem von der Immobilienwirtschaft und den bürgerlichen Parteien bekämpften Instrument schob das Bundesverfassungsgericht einen Riegel vor: Im April 2021 erklärte das Gericht den Mietendeckel für mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig. Das Land Berlin, so das Argument der Karlsruher Richter, habe gar nicht die Kompetenz, eine solche Regelung einzuführen.

Aufgeben will der Berliner Senat trotzdem nicht. Im September brachte er eine Bundesratsinitiative auf den Weg mit dem Ziel, eine Länderöffnungsklausel zur Mietenregulierung einzuführen. Dadurch soll es den Ländern ermöglicht werden, auf angespannten Wohnungsmärkten die Mieten zu regulieren und damit von Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs abzuweichen. "Die Idee des Mietendeckels war richtig", sagt dazu der scheidende Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen). "Deshalb müssen wir jetzt die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen."

Ebenfalls bundesweit aufmerksam verfolgt wird ein zweites wohnungspolitisches Thema in der Bundeshauptstadt. Ende September stimmten die Berliner Wählerinnen und Wähler mit einer Mehrheit von 57,6 Prozent für ein Volksbegehren mit dem Titel "Deutsche Wohnen & Co enteignen". Dieses verlangt, alle privaten Wohnungsunternehmen, die in Berlin mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, zu vergesellschaften, also in öffentliches Eigentum zu überführen.

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Allerdings legten die Initiatoren keinen ausformulierten Gesetzentwurf vor. Die künftige Berliner Koalition auf Landesebene, die erneut von SPD, Grünen und Linkspartei gebildet wird, hat sich in ihrem neuen Koalitionsvertrag deshalb darauf geeinigt, eine Expertenkommission einzusetzen. Diese soll nun ein Jahr lang prüfen, ob und wie sich das Volksbegehren rechtssicher umsetzen lässt.

Sozialbau als Investition

Zurück zur Bundesebene: Gut möglich ist, dass der Bau von Sozialwohnungen tatsächlich in Schwung kommt. Dazu tragen zahlreiche Kommunen bei, die Investoren dazu verpflichten, bei größeren Wohnungsbauprojekten einen gewissen Anteil (oft rund 30 Prozent) öffentlich geförderte Wohnungen zu errichten. Sozialwohnungen, dies zur Erklärung, müssen nicht zwingend im Eigentum städtischer oder anderer öffentlicher Wohnungsunternehmen sein, sondern können auch privaten Investoren gehören. Und genau diese renditeorientierten Investoren interessieren sich in letzter Zeit verstärkt für Sozialwohnungen. "Sozialer Wohnungsbau lohnt sich", heißt es beispielsweise bei der Wertgrund Immobilien AG, die Fonds für Anleger auflegt - denn für private Investoren hätten sich die Rahmenbedingungen durch neue Förderprogramme und ein sehr geringes Vermietungsrisiko verbessert. 

Der Autor ist freier Journalist mit Schwerpunkt Immobilienwirtschaft in Berlin.