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Putins Einfluss auf dem Westbalkan : Spiel mit dem Feuer

Angeheizt durch russische Propaganda drohen alte Konflikte auf dem Balkan neu zu entflammen. In der EU wächst die Sorge vor einer Destabilisierung der Region.

21.03.2022
2023-11-21T16:17:25.3600Z
5 Min
Foto: picture-alliance/dpa/TASS/Pavel Bushuyev

In Serbien wird offen mit Putin sympathisiert, wie hier auf einer Demonstration Anfang März in Belgrad. In der EU beobachtet man die pro-russische Stimmung auf dem Balkan mit Sorge.

Die Serben halten eine ausbalancierte Position in der Ukraine-Frage und schließen sich nicht der antirussischen Hysterie der USA und Europas an", lobte der russische Spitzendiplomat Juri Pilipson in der vergangenen Woche. "Diese unabhängige und vernünftige Politik basiert auf der großen Unterstützung durch die Bürger Serbiens", so der Direktor der Europaabteilung im russischen Außenministerium weiter. Serbien als treuer Partner Moskaus und gleichzeitig EU-Beitrittskandidat - wie passt das zusammen?

Serbien vermeidet EU-Sanktionen gegen Russland 

Belgrad hat sich bisher standhaft geweigert, Sanktionen gegen seinen engen Verbündeten zu verhängen. Stattdessen stockte die nationale Fluggesellschaft Air Serbia ihre Verbindungen nach Moskau kräftig auf. Im Europäischen Parlament wurde dieses unsolidarische Verhalten als "Kriegsgewinn" gebrandmarkt und die EU-Kommission aufgefordert, Sanktionen gegen das widerspenstige Serbien zu erlassen.

Serbiens alles beherrschender Präsident Aleksandar Vucic konnte sich über viele Jahre der Unterstützung durch die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sicher sein - ganz gleich wie er die Medien kontrollierte, die Justiz dominierte und die Opposition drangsalierte.

Baerbock fordert Kompromisse im Kosovo-Konflikt

Doch der Wind hat sich gedreht. Die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) sprach bei ihrem ersten Besuch in Serbien Klartext: Belgrad müsse sich der außenpolitischen Linie Brüssels anschließen und Russland für seine Aggression gegen die Ukraine verurteilen. Außerdem erwarte sie Kompromisse im Konflikt um die frühere serbische Provinz Kosovo. Die ist heute ein unabhängiger Staat, wird fast nur noch von Albanern bewohnt, aber von Serbien international blockiert. 

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Ebenso schwer wie Serbien tut sich in der Ukraine-Frage das benachbarte Bosnien-Herzegowina. In beiden Ländern wurde die heimische Erdölindustrie an russische Großfirmen wie Gazprom sprichwörtlich für "Peanuts" ohne Ausschreibung verschenkt, das räumten beteiligte Minister später ein. Russland berührt zudem seit vielen Jahren die Herzen der Serben etwa durch die Finanzierung von orthodoxen Kirchen wie etwa in Belgrad oder im bosnischen Banja Luka, aber vor allem durch die Unterstützung heimischer Medien. Die russische Staatsagentur Sputnik spendiert Nachrichtenportalen in der Region Tag für Tag Meldungen und Berichte in Serbisch. Russophile und antiwestliche Positionen werden so transportiert und salonfähig gemacht für die breite Öffentlichkeit. Der Krieg in der Ukraine hinterlässt gerade hier Spuren: Ermutigt durch die Unterstützung des Kreml betreibt Serben-Führer Milorad Dodik bereits seit Monaten eine Abspaltung der Republika Srpska.

Hohe Abhängigkeit von russischem Öl

Auch EU-Mitglied Kroatien ist fest im Griff Russlands. Die Hauptstadt Zagreb etwa deckt 60 Prozent ihres Gasbedarfs durch Gazprom über den privaten kroatischen Quasi-Monopolisten PPD. Die Firma soll nach Medieninformationen zudem der großzügigste Geldgeber der Regierungspartei HDZ sein.

Ähnlich ist die Lage in Montenegro: In dem kleinen Nato-Land mit seinen 620.000 Einwohnern leben rund 30.000 Russen. Große Teile der Adriaküsten haben sie in den vergangenen 25 Jahren oft unter Marktwert aufgekauft und Millionen in den Tourismus investiert. Montenegro ist für reiche Russen attraktiv, weil das Land mit Euro zahlt, ohne die Kriterien für dessen Einführung 2002 zu erfüllen.

Montenegro ist tief gespalten

Vor diesem Datum hatte der Ministaat schon über drei Jahre die Deutsche Mark als Zahlungsmittel genutzt. Das hatte politische Gründe: Der Westen wollte Montenegro vom serbischen Kriegsherrn und Autokraten Slobodan Milosevic trennen. Heute ist das Land tief gespalten zwischen Anhängern Russlands und der EU.

All das zeigt, wie groß der Einfluss Russland auf dem gesamten Balkan ist und wie geschickt es versteht, ihn zu nutzen: Mit Berichten russischer Staatsmedien in serbischer Sprache befeuert Moskau die vielen nationalen Streitigkeiten, um dort je nach Interesse als Vermittler oder Schiedsrichter aufzutreten - wobei es sich vor allem als Schutzmacht der Serben versteht. Dass Russland seinen Einfluss nun auch instrumentalisieren könnte, um mit neuen Konflikten von der Ukraine abzulenken, befürchten nicht wenige heimische Kommentatoren. Aber auch in der EU wächst die Sorge vor einer Destabilisierung der Region. Um der entgegenzuwirken, bedürfte es einer einheitlichen Beitrittspolitik. Doch dazu ist die EU kaum in der Lage, da einige Mitgliedstaaten auf dem Balkan Sonderinteressen verfolgen.

Desinformation russischer Medien als Gefahr

Eine mediale Reaktion auf die russische Propaganda wäre in den sechs Ländern des westlichen Balkans durchaus möglich. Wiederholt hat das Europaparlament die EU-Kommission aufgefordert, die Desinformation russischer Medien in der Region mit Gegenangeboten zu bekämpfen. Doch wenig ist passiert, um das Blatt zu wenden. Durch das mediale Dauerfeuer Russlands glaubt die überwältigende Mehrheit der Menschen auf dem Westbalkan, dass Moskau ihr engster Partner sei.

Die Realität sieht anders aus: Die Balkanländer sind ökonomisch und kulturell auf den Westen ausgerichtet - nur will das niemand wahrhaben. Knapp 70 Prozent aller ausländischen Investitionen kommen aus dem Westen, zwei Drittel des Handels werden damit abgewickelt. Niemand käme auf die Idee, in Russland Arbeit zu suchen oder zu studieren. Seit Jahren leiden die Nachfolgestaaten des auseinandergebrochenen Jugoslawiens unter einem regelrechten Massenexodus. Und praktisch alle wollen nach Westen, vorwiegend nach Deutschland und Österreich. 

Der Autor war langjähriger dpa-Korrespondent für Südosteuropa.