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Foto: picture-alliance/Jean MW/Geisler-Fotopress
Demonstration gegen die staatliche Corona-Politik: Die Zahl politisch motivierter Delikte im Kontext der Pandemie stieg vergangenes Jahr um fast 160 Prozent auf insgesamt gut 9.200.

Politisch motivierte Kriminalität : Trauriger Höchststand bei Extremismus-Delikten

Die Zahl politisch motivierter Straftaten ist 2021 auf eine Rekordhöhe geklettert. Der Bundestag streitet über Versäumnisse in der Extremismus-Bekämpfung.

16.05.2022
2024-03-11T11:43:01.3600Z
4 Min

Es ist ein trauriger Rekordwert, den die vergangene Woche vorgestellte Statistik der politisch motivierten Kriminalität (PMK) für das Jahr 2021 ausweist: Mehr als 55.000 solcher Straftaten bedeuten einen Anstieg um mehr als 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und den höchsten Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2001. Auf die politisch rechts motivierte Kriminalität entfielen 21.964 Delikte und auf die links motivierte 10.113, während im Phänomenbereich "ausländische Ideologie" 1.153 und bei "religiöse Ideologie" 479 Fälle registriert wurden. Keinem dieser vier Bereiche konnten 21.339 PMK-Delikte zugeordnet werden, fast 150 Prozent mehr als im Jahr 2020. Davon wurden 7.142 Straftaten im Zusammenhang mit der Pandemie erfasst und 7.298 im Kontext mit Wahlen.

Zahlen, die im Bundestag am Freitag den Hintergrund einer kontroversen Debatte über die Extremismus-Bekämpfung in Deutschland bildeten. Während Union und AfD Versäumnisse im Kampf gegen den Linksextremismus beklagten und Die Linke eine ihrer Ansicht nach falsche Einordnung von in ihren Augen rechts motivierten Straftaten monierte, wiesen Vertreter der Ampel-Koalition die Oppositionskritik entschieden zurück.

Union will weitere Befugnisse für Verfassungsschutz und BKA

Alexander Throm (CDU) begrüßte in der ersten Aussprache über einen Antrag seiner Fraktion mit dem Titel "Für eine wehrhafte Demokratie - Gegenüber jeglicher Art von Extremismus" den Zehn-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Zugleich hielt er ihr vor, seit ihrem Amtsantritt nahezu nichts zu den Bereichen Linksextremismus oder islamistischer Terrorismus gesagt zu haben und diese Gefahren zu vernachlässigen. Man müsse alle Extremismus-Bereiche berücksichtigen und die Sicherheitsbehörden technisch "aufrüsten" sagte Throm, der für weitere Befugnisse für Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA)  plädierte.

Uli Grötsch (SPD) entgegnete, dass die Koalition gegen alle Feinde der Demokratie kämpfe. Die aktuelle PMK-Statistik zeige indes, dass es 2021 doppelt so viele rechte Straftaten gegeben habe wie linke, ausländische und islamistische Delikte zusammen. Von den Straftaten in der Kategorie "nicht zuzuordnen" stehe ein großer Teil im Zusammenhang mit der Coronaleugner-Szene, die völkisches, antisemitisches und rechtsextremes Gedankengut pflege. Daher sei die Gefahr von rechts noch größer, als die PMK-Statistik derzeit abbilde.

Grüne: Sicherheit vieler Menschen wird vor allem von rechts gefährdet

Steffen Janich (AfD) sagte, dass die politisch rechts motivierten Straftaten 2021 im Vergleich zum Vorjahr um rund 1.600 Fälle zurückgegangen seien und die politisch links motivierten Delikte um 800 Fälle. Bei Gewaltdelikten habe es mehr von Linksextremisten begangene Taten gegeben, als von Rechtsextremisten verübte. Wenn die Union heute befürchte, dass unter Faeser der Kampf gegen Islamismus und Linksextremismus in den Hintergrund trete, verweise er darauf, dass die AfD bereits in der vergangenen Wahlperiode etwa die "Prüfung von Verbotsverfahren gegen Antifa-Banden" und das Verbot islamistischer Moscheevereine in Deutschland gefordert habe. Nicht gebraucht würden indes weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz.

Konstantin von Notz (Grüne) konstatierte, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung derzeit "massiv bedroht" werde. Diese Bedrohungen verlangten nach modernen, differenzierten und vor allem verfassungskonformen Antworten. Davon finde sich im CDU/CSU-Antrag jedoch nur wenig. Dabei werde die Sicherheit vieler Menschen im Land vor allem von rechts gefährdet. Man müsse aber "überall hingucken, wo es gefährlich ist, und das tun wir", unterstrich Notz.

Linke fordert gemeinsamen Kampf "gegen Rassisten, Antisemiten und Neonazis" 

Martina Renner (Linke) betonte, bei der Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat gehe es um den Schutz von Leib und Leben aller Menschen im Lande. Vor dem Hintergrund der Anschläge der vergangenen Jahre bedeute dies vor allem, "dass wir gegen Rassisten, Antisemiten und Neonazis kämpfen müssen, und das gemeinsam". Die CDU/CSU sei jedoch in den zurückliegenden 16 Jahren bei der Bekämpfung von rassistischer Gewalt und rechtem Terror "fulminant gescheitert". An die Bundesregierung gerichtet, warf Renner die Frage auf, wie Gefahrenanalyse gelingen solle, wenn in der PMK-Statistik mehr als 21.000 Straftaten als "nicht zuzuordnen" eingestuft würden. Hier müsse die Bundesregierung handeln und diese "falsche und irreleitende Einordnung offensichtlich rechter Gewalt- und Straftaten" ändern.

Linda Teuteberg (FDP) erwiderte, wenn es neue und schwer einzuschätzende Phänomene gebe, sei es besser, dies in der Kriminalitätsstatistik offen zu kommunizieren, als diese Phänomene vorschnell "in alte Schubladen zu packen". Auch brauche man kein "Ranking", welche Art von Extremismus die größere Bedrohung sei, sondern einen "Rundum-Blick" und das Eintreten des Rechtsstaates gegen jeglichen Extremismus. Besonders beschämen und besorgen müsse die ebenfalls auf einem Höchststand befindliche Zahl antisemitischer Taten. Sie stieg laut PMK-Statistik um 29 Prozent auf 3.027 Delikte.

Aktionspläne gegen Islamismus und Linksextremismus gefordert

In ihrem Antrag fordert die CDU/CSU--Fraktion die Bundesregierung auf, neben einer Fortsetzung der Bekämpfung des Rechtsextremismus auch Aktionspläne gegen islamistischen Terrorismus und politischen Islamismus sowie gegen Linksextremismus vorzulegen. Auch dringt die Fraktion unter anderem darauf, generell mittels einer "Demokratietreueerklärung in Förderbescheiden" dafür zu sorgen, dass staatliches Geld nur an Träger von Präventionsprojekten gehen, die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen sowie eine "den Zielen des Grundgesetzes förderliche Tätigkeit gewährleisten".