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VERTEIDIGUNG
Peter Stützle
Rüstungssondervermögen umstritten

Staatsrechtler zeigen sich in Anhörung uneins über Grundgesetzänderung

100 Milliarden für die Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit will die Ampel-Koalition in einem Sondervermögen vor allem - aber eben nicht nur - der Bundeswehr zur Verfügung stellen. Das hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Zeitenwende-Rede Ende Februar erklärt. Doch ob das Prestige-Projekt der noch jungen Bundesregierung tatsächlich Realität wird, blieb vergangene Woche ungewiss. Die Ampel braucht die Union für die angestrebte Grundgesetzänderung, doch die zögert bisher.

Der Haushaltsausschuss will diese Woche über die Entwürfe entscheiden, könnte sich aber auch vertagen. Vergangene Woche waren zunächst Sachverständige an der Reihe: Ist das geplante "Sondervermögen Bundeswehr" von hundert Milliarden Euro der richtige Weg zur besseren Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte? Darüber, vor allem aber über die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens gab es in einer Anhörung im Haushaltsausschuss unterschiedliche Ansichten zu hören.

Unter den anwesenden Staatsrechtlern war insbesondere die im Regierungsentwurf (20/1409, 20/1410) vorgesehene Verfassungsänderung strittig, die das Sondervermögen von der Schuldenbremsregelung freistellen soll. Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer lehnte diese ab. Der Angriffskrieg Russlands habe zu einer "außergewöhnlichen Notsituation" geführt, "die sich der Kontrolle des Staates entzieht", und genau dafür enthalte die Schuldenbremse bereits eine Ausnahmeregelung. Dem hielt Christian Waldhoff von der Berliner Humboldt-Universität entgegen, sowohl der Zustand der Bundeswehr sei seit Jahren bekannt als auch das "seit langem völkerrechtswidrige Verhalten von Putin-Russland". Deshalb greife die Ausnahmebestimmung für unvorhersehbare Notfälle hier nicht.

Haushaltsgrundsätze Gegen das Sondervermögen wandte sich Dirk Meyer von der Hamburger Bundeswehr-Universität. Es verstoße gegen die Haushaltsgrundsätze der Einheitlichkeit, Klarheit und Jährlichkeit. Eine Alternative sei die Finanzierung aus dem Kernhaushalt bei Einsparungen an anderer Stelle und gegebenenfalls einem "Solidaritätsbeitrag Landesverteidigung" als zeitlich befristeter Sondersteuer. Eine dauerhafte Aufstockung des Verteidigungshaushaltes sei auch wegen der Folgekosten durch Betrieb und Unterhalt der neu angeschafften Rüstungsgüter "einem einmaligen Sondervermögen vorzuziehen". Auf diese Folgekosten wiesen auch andere Sachverständige hin und plädierten für eine zusätzliche Aufstockung des regulären Verteidigungsetats.

Strittig war auch, ob im Gesetz oder sogar im Grundgesetz festgeschrieben werden soll, dass der Fonds ausschließlich zur Beschaffung von militärischem Großgerät dienen sollte. Julia Berghofer vom Londoner European Leadership Network wandte sich dagegen und forderte, mit dem Geld auch Fähigkeitslücken etwa im Bereich der Cybersicherheit zu schließen. Ziel müsse zudem sein, innerhalb der Nato und der EU Waffensysteme zu harmonisieren beziehungsweise gebündelt zu beschaffen. Dagegen argumentierte Christian Mölling, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, dass die hundert Milliarden Euro lediglich für die Finanzierung der großen Rüstungsprojekte ausreichten. Deshalb solle man "die Vermischung mit Zielen wie etwa die Ertüchtigung von Partnern" vermeiden.

Völlig gegen das Sondervermögen war nur Ingar Solty von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Partei Die Linke nahesteht. Er bemängelte, dass der vom Bundeskanzler verkündeten "Zeitenwende" keine breite gesellschaftliche Diskussion vorausgegangen sei.Peter Stützle

Aus Politik und Zeitgeschichte

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