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Gastkommentare : Pro und Contra: Energiesicherheit vor Naturschutz?

Sollte die Sicherheit der Energieversorgung Vorrang vor dem Naturschutz haben? Ja, meint Daniel Wetzel. Michael Bauchmüller widerspricht.

16.05.2022
2024-03-05T12:50:35.3600Z
3 Min

Pro

Völlig überzeichnet

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Daniel Wetzel
ist Wirtschaftsredakteur bei der "Welt am Sonntag", Berlin
Foto: Privat

Umweltschützer treibt die Sorge um, dass in der Energiekrise das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Kohlekraftwerke werden reanimiert, im Watten- und Küstenmeer soll wieder Öl und Gas gefördert werden. Der Klageverein Deutsche Umwelthilfe torpediert die Vorhaben, wo er nur kann. Und ein grüner Wirtschaftsminister bittet die Umweltaktivisten, das doch bitte bleiben zu lassen.

Habeck hat seine Gründe, und sie wiegen schwer. Seit dem 12. Mai liegt eine Sanktionsliste aus dem Kreml gegen die wichtigsten Gasimporteure auf dem Tisch. Macht Moskau ernst, droht eine akute Gas-Mangellage mit katastrophalen Folgen. Denn wenn die deutschen Versorger und Industriebetriebe den Brennstoff zu aktuellen Spotmarktpreisen nachkaufen müssen, wird ihnen nun das Fünffache berechnet. Ganze Branche stünden vor dem Aus. Es könnte sich eine nach Millionen zählende Massenarbeitslosigkeit ausbreiten. Kraft für Umweltprojekte oder für die Ukrainehilfe hätte Deutschland dann nicht mehr.

Angesichts dieses Damoklesschwertes müssen wir alle verfügbaren Energie-Ressourcen zusammenkratzen, derer wir habhaft werden können. Die von Umweltaktivisten behaupteten Schäden der Beschaffung wirken neben dieser Notwendigkeit völlig überzeichnet. In der Nordsee produziert Deutschlands einzige Ölplattform Mittelplate seit 30 Jahren Erdöl, während sich die Seehund-Population dort "prächtig entwickelt", wie Umweltbehörden bestätigen. Weitere unterirdische Horizontalbohrungen wären oben gar nicht sichtbar. Schlägt die Energiekrise zu, sind die sozialen Folgen desaströs, real und dauerhaft, während Umweltschäden der Rohstoffbeschaffung nur vorrübergehender Natur und leicht zu minimieren sind.

Contra

Es gibt andere Wege

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Michael Bauchmüller
ist Korrespondent bei der "Süddeutsche Zeitung", München
Foto: Privat

Es gibt Tierarten, die lernen die Deutschen nur kennen, wenn irgendwo gebaut wird. Der Wachtelkönig war den meisten Hamburgern unbekannt, bis er eine Wohnsiedlung verhinderte. Ohne das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 hätte sich die Republik nie für den Juchtenkäfer interessiert. Und die Hufeisennase, eine Fledermaus-Art, erlangte erst durch die Dresdner Waldschlößchenbrücke Berühmtheit. Für die einen sind sie Störenfriede auf dem Weg zum Fortschritt, für die anderen der letzte Strohhalm, um ein ungeliebtes Projekt doch noch zu verhindern. Und Sichtweise eins hat sich leider durchgesetzt: Zu viel Naturschutz hält nur auf. Ein Fehler.

Stimmt schon, es gibt viel zu lamentieren über lahme Genehmigungsverfahren. Behörden sind überlastet, verunsicherte Beamte verlangen Gutachten über Gutachten, und dann kommen im Zweifel noch Klagen. Der Impuls, diese Verfahren zu entschlacken, ist allzu nachvollziehbar - zumal, wenn das Ziel mehr Klimaschutz ist, etwa durch den Bau von Windrädern und Solarparks. Nur zielt ein Genehmigungsverfahren eben auch auf den Ausgleich von Interessen. Es wäre gefährlich, fielen dabei die Interessen von Natur und Umwelt der Beschleunigung wegen unter den Tisch. Künftige Generationen haben nicht nur ein Recht auf Klimaschutz, sondern auch auf Artenvielfalt.

So wichtig schnelle Verfahren für die Energiewende sind, es gibt noch andere Wege: Klare Rechtsnormen und Leitfäden etwa, die den Behörden Sicherheit geben. Runde Tische zum Austausch aller beteiligten Behörden über den Status von Projekten. Mehr Personal. Aber am Ende auch die Offenheit, sich mit Belangen der Natur auseinanderzusetzen. Denn sie hat einen Wert für dieses Land.