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Gastkommentare - Contra
Christian Kerl, Funke-Mediengruppe
Gefährliche Formel

EU-KANDIDATENSTATUS NUR SYMBOLIK?

E s hat gewiss etwas Beruhigendes, den Status der Ukraine als EU-Beitrittskandidat zur bloßen Symbolpolitik zu erklären. So lassen sich alle Probleme und Herausforderungen, die eine Mitgliedschaft des großen, bitterarmen Landes in der Europäischen Union hätte, ausblenden.

Hat sich die EU im Umgang mit Beitrittskandidaten nicht sowieso viel Heuchelei angewöhnt? Vorsicht: Die Erwartung, die ukrainische Bewerbung ließe sich so vertrödeln wie etwa jene der Türkei, verkennt die Lage. Die Ukraine kann sich gar nicht vertrösten lassen. Es geht um ihr Überleben. Der Druck, den Nachbarn in Not zügig in den Club und damit unter den Schutz eines europäischen Beistandsversprechens im Fall eines Angriffs zu holen, wird angesichts der instabilen Lage schnell wachsen - aus der Ukraine, in der Union und von den USA. Russland oder EU: Das sind die Alternativen, nachdem die Nato als Schutzschirm wohl ausfällt. Kann sich die EU da wirklich erlauben, das Land jahrzehntelang warten zu lassen?

Die Regierung in Kiew wird alles versuchen, mit Reformen im Eiltempo, aber vielleicht ohne Bestandsgarantie, die Bedingungen zu erfüllen; der Anspruch auf eine Milliardensumme an Beitrittshilfen aus der EU-Kasse wird das erleichtern. Gut möglich, dass die Union in dieser historischen Situation nicht ganz so penibel auf die Erfüllung aller Beitrittskriterien bestehen kann. Wenn es um Übergangslösungen und andere Kompromisse geht, kennt der Brüsseler Erfindungsreichtum keine Grenzen. Das macht die Beruhigungsformel von der Symbolpolitik so gefährlich: Sie verdeckt die Herausforderung für die EU, sich sehr schnell auf die Erweiterung vorzubereiten.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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