Die Anspannung war Katrin Budde (SPD) am vergangenen Mittwoch zum Auftakt der öffentlichen Sitzung des Kulturausschusses zum Antisemitismus-Skandal auf der Documenta in Kassel deutlich anzumerken. Die Sitzung sei "kein Tribunal" mahnte die Ausschussvorsitzende. Und doch waren die Anklagen gegen das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi wegen ihres als antisemitisch angesehenen Werkes "People's Justice", gegen die Verantwortlichen der Documenta, allen voran das kuratierende indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa laut und deutlich. Ersten Ärger verursachte bereits die Ankündigung Buddes, dass die Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann und der Documenta-Aufsichtsratsvorsitzende, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), nicht an der Sitzung teilnehmen werden. Schormann hatte sich wegen Krankheit und Geselle wegen anderer Termine entschuldigen lassen. Das Fernbleiben Geselles bezeichnete Gitta Connemann (CDU) als "skandalös" und Erhard Grundl (Grüne) als eine "grobe Missachtung" des entstandenen Schadens.
Kritik des Zentralrats Schormann und Geselle waren es denn auch, die der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, Daniel Botmann, namentlich für den Antisemitismus-Skandal verantwortlich machte. Alle Warnungen im Vorfeld der Documenta seien ignoriert worden. Auf der Kunstausstellung sei "Judenhass in reinster Form" präsentiert worden. Aber niemand übernehme dafür die Verantwortung, monierte Botmann. Es sei "eine Zumutung", dass Schormann noch immer im Amt sei. Botmann betonte, dass es um weit mehr als ein Bild gehe. Auf der Kunstausstellung würden auch andere antisemitische Werke wie die Bilderserie "Guarnica Gaza" gezeigt. Zudem sei die Documenta wie auch andere Kultureinrichtungen stark von der antisemitischen BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) beeinflusst, die Israel isolieren wolle. Darunter litten auch jüdische und israelische Künstler.
Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erhob, wenn auch nicht namentlich, schwere Vorwürfe gegen die Documenta-Verantwortlichen. Diese hätten zugesagt, dass Antisemitismus keinen Platz auf der Kunstausstellung habe und dass es dazu auch nicht kommen werde. Dies sei "Wortbruch", stellte Roth fest. Sie werde immer die Freiheit der Kunst verteidigen, aber die Grenzen der Kunstfreiheit seien überschritten worden. Vor allem sei die notwendige kuratorische Arbeit nicht geleistet worden.
Entschuldigung der Kuratoren Der angesprochene Ade Darmawan entschuldigte sich als Mitglied des kuratierenden Kollektivs Ruangrupa für den durch die Ausstellung "verursachten Schmerz". Es sei nicht die Absicht gewesen, Antisemitismus zu verbreiten. Zugleich warb er für Verständnis für andere historische Erfahrungen und das "antiautoritäre kuratorische Verständnis" seines Kollektivs. Das Werk "People's Justice" sei vor 20 Jahren entstanden und sei auch eine Kritik an der Unterstützung westlicher Staaten für Indonesiens früheren Diktatur Suharto. Die als antisemitisch empfundene Bildsprache - das Bild zeigt unter anderem eine Art Vampir mit Schläfenlocken und Hut mit SS-Runen sowie einen Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad mit Schweinegesicht und Davidstern - sei von anderen historischen Erfahrungen geprägt als in Deutschland. Diese Art der Bildsprache sei bereits im 18. Jahrhundert von den niederländischen Kolonialherren nach Indonesien gebracht worden und vor allem auf die chinesische Minderheit übertragen worden. Zugleich wies Damarwan den Vorwurf eines Boykotts israelischer Künstler zurück. Die Documenta zeige sowohl israelische als auch jüdische Künstler, die auf eigenen Wunsch aber nicht genannt werden wollten.
Dass Damarwans Entschuldigung und Erklärungsversuche die Unions- und die AfD-Fraktion nicht überzeugten, zeigte sich tags darauf in der Bundestagsdebatte. Die Beschwichtigungsversuche mit kulturellen Unterschieden seien "Ausreden" und zeigten fehlende Einsicht, befand Gitta Connemann. "Egal in welchem Land, egal in welchem Zusammenhang: Judenhass ist Judenhass." Die AfD warf den Künstlerkollektiven vor, ihr postkolonialistischer Ansatz sei im Kern antisemitisch. "Die Postkolonialisten sind zutiefst verwoben mit der Israel-Boykottbewegung BDS", führte Marc Jongen aus und hielt Roth vor, den Postkolonialismus "zur Staatsdoktrin erhoben" zu haben. Connemann und Jongen erinnerten Roth zudem daran, dass sie 2019 den Bundestagsbeschluss zur Verurteilung des BDS abgelehnt habe.
Katrin Budde und andere Abgeordnete der Ampelkoalition wiesen die Vorwürfe zumindest zum Teil zurück. Ade Damarwan sei ein "sehr reflektierten Vertreter der Ruangrupa", der "sehr nachdenklich und auch sehr ehrlich reagiert" habe, sagte Budde. Einig zeigten sich alle Fraktionen, dass die Strukturen der Documenta reformiert werden müssen. Die von der Union und der AfD vorgelegten Anträge, in denen sie auch den Rücktritt von Sabine Schormann fordern, wurden von allen anderen Fraktionen abgelehnt.
Abgeschlossen ist der Fall damit aber nicht. Der von Kulturstaatsministerin Roth vorgelegte Fünf-Punkte-Plan zur Aufarbeitung des Skandals und zu Strukturreformen bei der Documenta wird den Bundestag spätestens bei den Haushaltsberatungen und der Frage nach einer weiteren Förderung des Kunstausstellung durch den Bund erneut erreichen.
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