Lange befand sich Frankreichs Industrie im Niedergang. Ihr Anteil an der Wirtschaftsleistung sank in den vergangenen vier Jahrzehnten von rund 25 auf kaum mehr als zehn Prozent. Zählte sie Anfang der 1980er Jahre noch mehr als fünf Millionen direkt Beschäftigte, sind es heute nur noch rund drei Millionen. Ehemals leistungsfähige Branchen wie die Textilindustrie und der Werkzeugmaschinenbau wanderten ins Ausland ab, ganze Landstriche verloren dadurch an Wohlstand.
Doch unter Präsident Emmanuel Macron genießt die "industrielle Rückeroberung" höchste Priorität. Schon vor seiner ersten Wahl kündigte er die Abkehr vom "naiven Zugang zur Globalisierung" an. Mit der Reindustrialisierung verfolgt Macron zwei Ziele: Die Schaffung gut bezahlter Arbeitsplätze mit hoher Forschungs- und Entwicklungsintensität und die Senkung der Importabhängigkeit von Ländern wie China, was seit einiger Zeit unter dem Stichwort "strategische Autonomie" firmiert.
Frankreichs Regierung lässt sich ihre Reindustrialisierungskampagne einiges kosten. Sie schnürte Fördertöpfe für Branchen wie die Autoindustrie, Raumfahrt oder Atomwirtschaft. Die Vermögenssteuer wandelte sie in eine reine Immobiliensteuer um. Den Körperschaftssteuersatz senkte sie in den vergangenen fünf Jahren von 33,3 auf 25 Prozent. Zudem sanken die Beiträge von Arbeitgebern zur Sozialversicherung und die Regierung entlastete Unternehmen bei der gewinnunabhängig erhobenen Produktionssteuer um zuletzt zehn Milliarden Euro. Man wolle den angebotsorientierten Kurs fortfahren, kündigte Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire unlängst an - trotz angespannter Staatsfinanzen und Gegenwind der politischen Linken, die mindestens die derzeit gut verdienenden Konzerne aus der Energieindustrie zur Kasse bitten will.
Erste Erfolge sind sichtbar. In der Industrie wurden nach Regierungsangaben im Zeitraum von 2017 bis 2020 rund 30.000 Stellen neu geschaffen. Viele ausländische Manager sind voll des Lobes für Macron, zumal er die Steuersenkungen in seiner ersten Amtszeit mit Arbeitsmarkt- und Verwaltungsreformen wie die Verbesserung der beruflichen Ausbildung und mehr Rechtssicherheit bei Entlassungen verband. Rund 1.600 Investitionsprojekte brachten nicht-französische Unternehmen vergangenes Jahr auf den Weg, das waren so viele wie noch nie. 2021 kürte die Beratungsgesellschaft EY Frankreich erneut zu Europas attraktivstem Standort für ausländische Investoren.
Die Manager schätzen an der französischen Regierung, dass sie direkte Gesprächskanäle pflegt. So setzte Macron an die Spitze der staatlichen Innovationsagentur Business France den langjährigen Apple-Europa-Chef Pascal Cagni. "Frankreich nimmt die Reindustrialisierung wirklich ernst", sagte Martin Brudermüller, Chef des Chemieriesen BASF, als er im Beisein von Macron im Januar eine 300-Millionen-Investition im elsässischen Chalampé ankündigte. Mit 5,7 Milliarden Euro das größte industrielle Investitionsprojekt aus der jüngsten Zeit ist der geplante Bau einer Chipfabrik in Grenoble durch GlobalFoundries aus den USA und das französisch-italienische Unternehmen STMicroelectronics.
Der Autor ist Wirtschaftskorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit Sitz in Paris.
Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper.