Eigentlich könnte es ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag sein, doch an diesem Donnerstag steht das Telefon nicht mehr still. Es ist der 24. Februar 2022, der russische Präsident Wladimir Putin hat den Einmarsch seiner Truppen in die Ukraine befehligt. Für viele Menschen in Deutschland änderte sich damit von heute auf morgen ihr Sicherheitsbefinden. "In den ersten Wochen nach Kriegsbeginn sind wir kaum noch zur Ruhe gekommen", erinnert sich Mark Schmiechen. Er arbeitet für die Firma "Bunker Schutzraum Systeme Deutschland" (BSSD), die sich auf den Verkauf von Schutzräumen spezialisiert hat. Vom Maurermeister bis zum Multimillionär reicht laut Schmiechen der Kundenstamm. Dabei sei nicht bei allen eine Kriegsangst Hauptauslöser für den Kauf gewesen. Auch Sorgen vor Verteilungsengpässen oder allgemeine Unsicherheit seien Gründe, weshalb Menschen sich nach einem geschützten Raum sehnten. Im Portfolio der Firma finden sich neben PopUp-Panikräumen auch Bunker jeglicher Größe. Für einen drei Quadratmeter großen Panikraum müssen Kunden mit Kosten ab 12.000 bis 15.000 Euro rechnen, der 36 Quadratmeter Bunker startet bei rund 200.000 Euro.
Nicht funktionsfähig Während beispielsweise in der Schweiz die Einrichtung eines Schutzraumes bei Neubauten gesetzlich vorgeschrieben ist und die meisten Häuser über private Schutzräume verfügen, existiert eine solche Regelung in Deutschland nicht. Wie viele private Schutzräume oder Bunker es in der Bundesrepublik aktuell gibt, ist nicht zu beziffern.
Die Anzahl der öffentlichen Schutzräume liege bei 599, teilte das Bundesinnenministerium auf Anfrage mit. Zu diesen öffentlichen Schutzräumen zählen neben Hoch- und Tiefbunkern auch sogenannte Mehrzweckanlagen wie Tiefgaragen oder Bahnhöfe, die im Ernstfall für den Zivilschutz genutzt werden können und Platz für eine eine halbe Millionen Menschen bieten. Funktionsfähig sei laut Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) allerdings keine der 599 Anlagen. Um sich einen Überblick, über den Zustand der bestehenden Schutzräume zu verschaffen, prüfe der Bund aktuell die Anlagen - ein Ergebnis werde nach Einschätzung der Bima allerdings nicht vor 2023 vorliegen.
Bis zum Ende des Kalten Krieges gab es in der Bundesrepublik rund 2.000 öffentliche Schutzräume. Die meisten Bunkeranlagen entstanden während des Zweiten Weltkriegs, in dem die Bombardierung von Städten Teil der Kriegsstrategie war. Im Zuge der allgemeinen Unsicherheit während des Kalten Krieges setzte die Regierung dann einige dieser Bunker wieder in Stand und unterstütze den Bau sogenannter Mehrzweckanlagen für den Zivilschutz.
Ausreichend Kapazitäten, um im Angriffsfall die gesamte Bevölkerung zu schützen, gab es auch zu dieser Zeit nicht. In ganz Westdeutschland hätten zur Wende weniger als vier Prozent der Bevölkerung Platz in öffentlichen Schutzräumen gehabt.
Mit dem Ende des Kalten Kriegs nahm die Angst vor militärischen Auseinandersetzungen und damit auch die Bedeutung von Bunkern stetig ab. Es wurden keine neuen Schutzräume mehr ausgewiesen und die bestehenden Anlagen der ehemaligen DDR erst gar nicht in das Schutzkonzept des Bundes aufgenommen.
2007 entschied die Bundesregierung dann, die öffentlichen Schutzräume Stück für Stück aus der Zivilschutzaufgabe zu entbinden, da solche Anlagen bei modernen Bedrohungsszenarien wie Terrorismus oder Klimakatastrophen keinen ausreichenden Schutz bieten können.
Verkaufsstopp Seit September 2020 ist die Bima mit diesem Entwidmungsprozess betraut und hat bereits 320 Bunker veräußert. Einmal entwidmet, können die neuen Bunkerbesitzer frei über die Immobilie verfügen. Ob Luxuswohnungen, Galerien, Musikclubs oder Kletterhallen: viele Bunker haben nach ihrem Verkauf eine neue Bestimmung gefunden.
Mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine wurde dieser Rückabwicklungsprozess ausgesetzt, bis auf weiteres dürfen keine Bunker mehr zum Verkauf angeboten werden. Ob ein Neubau oder eine Wiederinstandsetzung alter Bunker für den Zivilschutz sinnvoll wäre, ist jedoch zu bezweifeln. "Experten gehen heute von einem Schadensszenario ohne Vorwarnzeit aus, daher können Schutzräume der Bevölkerung keine ausreichende Sicherheit bieten", schreibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
Trotz solcher Bedenken boomt bei BSSD das Geschäft. Zwar gibt die Firma keine konkreten Zahlen bekannt, das Auftragsvolumen hat sich jedoch laut Schmiechen seit Kriegsbeginn ungefähr verdoppelt, die Bestellungen liegen im hohen dreistelligen Bereich.
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