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Foto: picture-alliance/United Archives
In Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow" (2004) folgt eine meteorologische Katastrophe auf die nächste - sie sind aber nur Vorboten einer über die Menschheit hereinbrechenden neuen Eiszeit.

Katastrophen auf der Leinwand : Die Lust am Untergang

Katastrophenszenarien gehören zum festen Repertoire Hollywoods - von King Kong bis zur Erderwärmung.

05.09.2022
2024-02-29T11:05:11.3600Z
7 Min

Die Erderwärmung lässt die Polkappen schmelzen, der Golfstrom versiegt durch den Zufluss und die Nordhalbkugel der Erde versinkt unter einem Eispanzer. Einige Überlebende dieser Klimakatastrophe in Roland Emmerichs "The Day after Tomorrow" (2004) verschanzen sich vor der klirrenden Kälte in einer New Yorker Bibliothek und verbrennen wertvolle Bücher. Mit dem auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Szenarium habe seine Untergangsphantasie riesige Wirkung auf die Entwicklung des Bewusstseins der Amerikaner für den Klimawandel erzielt, so erzählte der Absolvent der Münchner Filmhochschule sichtbar stolz noch Jahre später. In "2012" legte er eine Warnung nach. Er malt aus, wie der im Maya-Kalender angeblich prophezeite Weltuntergang am 21. Dezember jenen Jahres hätte aussehen können. Die Verschiebung der Erdplatten lässt Vulkane und Erdbeben ausbrechen, die gewaltige Überschwemmungen und Tsunamis auslösen. Für mehr als 99 Prozent der Menschheit gibt es in dieser Situation keinen Platz auf einer modernen Arche Noah - die Mächtigen der Welt haben die raren Plätze für sich und den Geldadel reserviert.

Blütezeit der Katastrophenfilme: Die 1990er Jahre

Emmerich, der "Master of Desaster" aus Schwaben, in seiner Heimat lange als "Spielbergle aus Sindelfingen" verspottet, revolutionierte seit den 1990er Jahren den Katastrophenfilm. Das Genre erlebt damals eine Blütezeit. Schon immer gehörten Katastrophenfilme zum festen Repertoire von Hollywood, aber nun, nach dem Ende des Kalten Krieges, häufen sich die Katastrophenfälle und drohenden Weltuntergänge auf der Leinwand: In einer Welt, von der man damals annahm, dass sie friedlicher werden würde, genießen die Zuschauer den Nervenkitzel im Kinosessel. Fasziniert sehen sie zu, wie Großstädte im Wasser versinken. Oder Symbole der Menschheitsgeschichte wie der Eiffelturm, der Petersdom, das Washingtoner Kapitol und die New Yorker Freiheitsstatue unter den entfesselten Naturgewalten in sich zusammenbrechen: Filmische Katastrophenszenarien, die subtil und kritisch das Handeln des Menschen und dessen Folgen betrachten und den Anspruch haben, mit ihren düsteren Szenarien an die Realität anzuknüpfen.

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In Spielbergs Thriller "Der weiße Hai" wird ein Badeort an der Ostküste der USA von einem menschenfressenden Weißen Hai heimgesucht. Massenpanik bricht aus.

Zu Emmerichs Erfolg trägt seine in Deutschland ausgebildete Special-Effekt-Crew bei, die atemberaubende Bilder der Apokalypse auf die Leinwand zaubert. Seine Filme haben meist eine klare Haltung. Bereits in seinem Debütfilm "Das Arche Noah-Prinzip", der nach der Premiere im Wettbewerb der Berlinale 1984 für Diskussionen sorgt, entwirft Emmerich ein Schreckensszenario mit einer Überschwemmungen biblischen Ausmaßes nach dem möglichen Missbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Beeinflussung des Wetters durch das US-Militär. Solche Spekulationen sind ebenso wie der Diebstahl von wissenschaftlichen Erkenntnissen durch Schurken oder Diktaturen ein beliebtes Filmthema. Meist sind es dann mutige Einzelgänger und in den vergangenen Jahren vermehrt Frauen, die sich den Drahtziehern mutig entgegenstellen, um eine Katastrophe zu verhindern. Im Klassiker "Das fliegende Auge" (1983), einem Film des britischen Regisseurs John Badham, ist es ein Pilot, der verhindert, dass in Los Angeles Rassenunruhen angezettelt werden, um einen neu entwickelten Überwachungshubschrauber im realen Einsatz zu testen und ein Blutbad anzurichten.

Mit dieser thematischen Gewichtung unterscheiden sich viele heutige Katastrophenfilme von ihren Vorgängern aus den Kindertagen des Kintopp, in denen Monster oder die Affenkreatur King Kong Angst und Schrecken verbreiten. Die Figuren knüpfen an die verdrängten Urängste des Menschen, Legenden und Märchen an. Seit den 1950er bevölkert eine weitere Spezies die Filmtheater - mit der mutierten Riesenechse Godzilla verarbeiten japanische Filmemacher die Erfahrungen der Atombombenabwürfe.

Neben Unterhaltung auch subtile Denkanstöße

Zu diesen Fantasy-Figuren gesellen sich Aliens, die meist nicht auf Verhandlungen setzen. Sie gehen den Erdlingen sofort an den Kragen und wollen denn blauen Planeten unterjochen. Egal ob in Tim Burtons skurrilem Fantasy-Märchen "Mars Attacks" (1996) oder Emmerichs patriotischen "Independence Day" (ebenso 1996) - stets braucht es einige Beherzte, die sich den gewaltbereiten Eroberern entgegenstellen.

Auch wenn solche Filme auf den ersten Blick pure Unterhaltung sind, verstecken sich oft subtile Denkanstöße. In seinem Spektakel "Jurassic Park" (1994) mahnt zum Beispiel Steven Spielberg, dass der Mensch mit der Gentechnik nicht Gott spielen und längst ausgestorbene Dinosaurier zu neuem Leben erwecken sollte. Auf die Gefahr von Zoonosen weist Wolfgang Petersen in "Outbreak -Lautlose Killer" (1995) hin, dessen Handlung heute an die Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus erinnert. Bei dem kürzlich verstorbenen Regisseur aus Emden schafft es ein dem Ebola-Virus ähnelnder Krankheitserreger aus den Dörfern des afrikanischen Kontinents in eine amerikanische Kleinstadt, die hermetisch abgeriegelt wird. Männer und Frauen in Schutzanzügen und das Militär übernehmen die Macht. Die Bilder menschenleerer Straßen, von heimlich abtransportierten Toten und in ihren Häusern eingesperrter Menschen wurden 2020 weltweit Realität.


„Alle Filme variieren ein ähnliches Muster: Ein einsamer Warner vor der Katastrophe findet kein Gehör, anschließend kämpft eine Gruppe von Menschen um ihr Leben.“

Vertuschen, ignorieren, negieren, verschweigen - das sind nicht nur bei Emmerich und Petersen zunächst die typischen Reaktionen des Menschen und von Behörden auf unliebsame Nachrichten oder wissenschaftliche Erkenntnisse. In Steven Spielbergs Thriller "Der weiße Hai" (1977) warnen die Verantwortlichen zu spät und vergeblich vor einem Sprung ins kühle Nass. In "Der Sturm" (2000) zaubert Wolfgang Petersen einen wilden Ritt durch die Wellen auf die Leinwand, der im Untergang endet. Die Handlung beruht auf dem Schicksal des kanadischen Fischerboots "Andrea Gail". Dessen Besatzung ignorierte die Warnungen vor einem perfekten Sturm, um ihren Fang auf direktem Weg zurück zur Küste zu bringen. Weitere unvergessene Filme über Schiffskatastrophen sind James Camerons Epos "Titanic" und das menschliche Drama "All is lost", in dem Robert Redford auf einem Einmannsegler ums Überleben kämpft.

Auch Tornados und Hurrikans sorgten für Inspiration

Nicht nur die Bewohner des Ahrtales werden sich bei den Enthüllungen über das Kompetenzwirrwarr in der Nacht des Unglücks an die Ereignisse in Filmen vor dem Ausbruch von Vulkanen ("Dante's Peak", 1997, "Volcano", 1997, "Pompeji", 2014), Erdbeben ("Earthquake", 1974, "San Andreas", 2015) erinnern. Auch Tornados und Hurrikans inspirierten die Phantasie von Filmemachern. Alle Filme variieren ein ähnliches Muster: Ein einsamer Warner vor der Katastrophe findet kein Gehör, anschließend kämpft eine Gruppe von Menschen um ihr Leben. "Twister" (1996) porträtiert dagegen Wissenschaftler, die ihr Leben riskieren, um die Vorhersagemöglichkeiten zu verbessern. Ihr Verhalten ist ebenso wenig zum Nachahmen zu empfehlen wie die Jagd der "Storm Hunters" (2014). Sie gefährden ihr Leben, um spektakuläre Bilder aus dem Herzen der Stürme einzufangen.

Auch die Angst vor einer Atomkatastrophe lässt die Filmemacher nicht los. Mehrere sehenswerte Werke entstanden zur Katastrophe von Tschernobyl, wobei sie weniger die Kernschmelze als die Ereignisse vor und nach dem verheerenden GAU schildern. Penibel zeichnet die britische Serie "Chernobyl" (2019) die Rettungsarbeiten und den sorglosen Umgang mit der Katastrophe durch die sowjetischen Apparatschiks nach. Warum die Einwohner das Gebiet nicht panikartig verließen, versucht die russisch-ukrainisch-deutsche Koproduktion "An einem Samstag", (Berlinale 2011) zu ergründen.

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Natürlich fand auch Gudrun Pausewangs "Die Wolke" den Weg ins Kino (2006). In dem Bestseller und Kinohit wird eine 14-Jährige bei einem Unfall in einem deutschen AKW verstrahlt. Das teure Katastrophengenre hat es in Deutschland ansonsten häufig schwer. Trotzdem entstanden in den vergangenen Jahren einige sehenswerte Filme. Mit Hilfe von Roland Emmerich und dessen Münchner Studienfreund Thomas Wöbke inszenierte der Schweizer Tim Fehlbaum zwei apokalyptische Endzeitthriller über die drohenden Katastrophen durch den Klimawandel. In "Hell" (2011) sind die blühenden Landschaften Deutschlands zu tristen, beigen Einöden verdorrt. Wasser ist knapp, jeder Gang ins Freie wird zur Qual. In "Tides", 2021 bei der Berlinale, steht der Planet dagegen unter Wasser. Die wenigen Überlebenden kämpfen um die knappen Ressourcen. Eine andere Gruppe hat es auf einen fremden Planeten geschafft, wo aber die Fortpflanzung der Menschheit nicht wie erhofft klappt. Sie kehren zur Erde zurück, der Plan B für das Überleben ist Makulatur.

Die Autorin ist freie Filmjournalistin in Berlin.