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Resilienz in Krisenzeiten : Turnschuhfit in die nächste Katastrophe

Das Thema Resilienz ist nicht erst seit der Corona-Pandemie in aller Munde. Warum die Stärkung der Widerstandskraft allein nicht gegen Krisen hilft.

05.09.2022
2024-03-11T10:41:43.3600Z
5 Min

Eurokrise, Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Brexit-Stress, Corona, Krieg in Europa: Seit Jahren befindet sich das Land in einer Verkettung aufeinanderfolgender Krisen, viele empfinden es als nicht enden wollenden Stresstest. Man könnte dieser Wahrnehmung ein paar Daten entgegenstellen - von einer seit Jahren und Jahrzehnten steigenden Lebenserwartung in Deutschland berichten oder vom kontinuierlichen Rückgang schwerer Berufs- und Verkehrsunfälle und von einem von all den Dauerkrisen ziemlich unbeeindruckten Wachstum des Bruttoinlandsproduktes - was noch nichts über eine faire oder unfaire Verteilung des gewachsenen Wohlstands aussagt, für die Gesellschaft als Ganzes aber trotzdem aussagekräftig bleibt.

Während das Leben hierzulande risikoärmer und sicherer geworden ist und weiter werden dürfte, hat man es trotzdem mit einem Land zu tun, dass sich beim Blick in den Spiegel überproportional wachsenden und nie abreißen wollenden Gefahren ausgesetzt sieht. Besteht da womöglich ein Zusammenhang?

Resilienz: Das Buzzword in Zeiten von Krisenbewältigung

Die wachsenden psychischen Belastungen sind ein großes Thema etwa in der Corona-Pandemie gewesen, insbesondere die psychosozialen Folgen für Eltern, Kinder und Jugendliche während der Lockdown-Phasen sind in Studien dokumentiert worden. Ein weiteres im Zusammenhang mit den Dauerkrisen immer wieder diskutiertes Thema ist die Resilienz: Ursprünglich unter anderem ein Begriff der Werkstoffphysik (die Uhrenfeder kehrt nach Momenten der Spannung wieder in ihren Ausgangszustand zurück), wird er in der Psychologie als teils erlernbare individuelle Fähigkeit beschrieben, auf größere Belastungen zu reagieren und sich zu regenerieren.

Resilienzstrategie der Bundesregierung

Ziel der Strategie: Existenzgrundlagen sollen besser geschützt, die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit des Gemeinwesens gegenüber Katastrophen gestärkt werden.

Breiter Fokus: Betrachtet werden Prävention, Vorsorge, Bewältigung sowie Nachbereitung inklusive des Ansatzes „Besser Wiederaufbauen“.

Fünf Handlungsfelder:
1️⃣ Das Katastrophenrisiko verstehen
2️⃣ Die Institutionen stärken, um das Katastrophenrisiko zu steuern
3️⃣ In die Katarophenvorsorge investieren, um die Resilienz zu stärken
4️⃣ Die Vorbereitung auf den Katastrophenfall verbessern
5️⃣ Internationale Zusammenarbeit



Mittlerweile taucht der Begriff auf vielen Feldern auf, wird das Konzept sogar auf ganze Gemeinschaften ausgedehnt - von der Stärkung der Resilienz ganzer soziologischer oder ethnischer Gruppen oder Institutionen ist von der Katastrophenvorsorge über die Entwicklungs- bis zur Klimapolitik mit großer Selbstverständlichkeit die Rede. Und gewissermaßen folgt dies ja auch der Logik des Klimawandels: Wenn es ohnehin ausgemacht ist, dass die globale Durchschnittstemperatur steigt ("Kipppunkte"), was bleibt dann noch übrig, als sich gegen erwartbare Extremwetterlagen zu wappnen und auch andere in dieser Befähigung zu stärken?

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Kritiker wenden nun aber ein, dass eine so verstandene Resilienz auf eine Privatisierung von Verantwortung, einer Abwälzung von Krisenbewältigung auf Einzelne hinausläuft: Gefragt werde nicht mehr nach Ursache und Wirkung, nach Verantwortlichkeiten und politischen Entscheidungsoptionen, sondern danach, welche Krisenbewältigungskompetenz sich der Einzelne zulegen kann: "Sei resilient!" werde so zur ziemlich anmaßenden Aufforderung, jede und jeder möge sich bitte selbst etwas Hornhaut antrainieren gegen Zumutungen und womöglich sogar Unzumutbares.

Krisen seien in dieser Lesart nichts Menschengemachtes, sondern etwas, das hinzunehmen sei. Was aber wäre das anderes, als das Ende von Politik - verstanden als Gestaltung und Verbesserung von Lebensbedingungen? "Resilienz ist ein Alternativangebot zur Kritik", so umschreibt es die Soziologin Stefanie Graefe. Der Umgang mit einer Pandemie, die Begegnung einer Kriegsgefahr, das Eindämmen einer Teuerung, das Wappnen gegen steigende Erdtemperaturen und die Unterstützung von Entwicklungsländern - all das sind ziemlich dicke Bretter. Und die zu bohren ist weniger etwas für Selbstoptimierugen aller Art, sondern bleibt erste Aufgabe von Politik.


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